Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
entschlüpfen ließ, dann bat sie hinterher immer: »Ändern Sie meinen Namen, ich will nicht erkannt werden.« Sie polierten das Bild ihrer Liebe im Krieg auf Hochglanz. So, dass es literarisch wurde. Ich erfuhr meist Romantisches und Tragisches. Schönes.
Natürlich ist das nicht das ganze Leben. Nicht die ganze Wahrheit. Aber es ist ihre Wahrheit. Die Geschichte enthält viele Seiten Schweigen, das uns ebenso berührt wie Worte.
Von einem Teufelsweib und Mairosen
»Der Krieg hat mir meine Liebe genommen ... Das Teuerste ... Das Einzige ...
Die Stadt wurde bombardiert, meine Schwester Nina kam angelaufen, um sich zu verabschieden. Wir dachten schon, wir würden uns nicht wiedersehen. Sie sagte zu mir: ›Ich will zu den Sanitätern, aber wo finde ich die?‹ Ich erinnere mich: Ich schaute sie an, es war Sommer, sie trug ein leichtes Kleid, und ich entdeckte auf ihrer linken Schulter, hier, direkt am Hals, ein Muttermal. Sie war meine leibliche Schwester, aber ich sah es zum ersten Mal. Ich sah es an und dachte: Ich werde dich überall erkennen.
Das war ein so heftiges Gefühl ... Eine solche Liebe ... Es zerriss mir das Herz ...
Alle verließen Minsk. Die Straßen wurden beschossen, die Menschen liefen durch den Wald. Ein kleines Mädchen schrie: ›Mama, es ist Krieg!‹ Unsere Einheit war auf dem Rückzug. Wir fuhren über ein großes, weites Feld, der Roggen wiegte sich im Wind, und am Wegesrand stand eine niedrige Bauernhütte. Das war schon bei Smolensk. Am Weg stand eine Frau, sie schien größer zu sein als ihre Hütte, sie trug Leinenkleider, im russischen Stil bestickt. Sie kreuzte die Hände über der Brust und verneigte sich tief, die Soldaten zogen vorüber, und sie verneigte sich und sagte: ›Möge Gott euch wieder nach Hause führen.‹ Verstehen Sie, vor jedem verneigte sie sich mit diesen Worten. Allen traten Tränen in die Augen ...
Ich habe sie den ganzen Krieg über nicht vergessen. Und etwas ganz anderes, das war in Deutschland, als wir die Deutschen zurücktrieben. Irgendein Ort ... Im Hof saßen zwei deutsche Frauen mit Häubchen auf dem Kopf und tranken Kaffee. Als wäre überhaupt kein Krieg. Ich dachte: Mein Gott, bei uns ist alles in Trümmern, bei uns leben die Menschen in Erdhöhlen, essen Gras, und ihr sitzt hier und trinkt Kaffee. Unsere Autos fahren vorbei, unsere Soldaten, und sie trinken Kaffee ...
Dann fuhr ich durch unser Land ... Und was sah ich da? Wo mal ein Dorf war, steht nur noch ein Ofen. Davor sitzt ein alter Mann, hinter ihm stehen drei Enkel, offenbar hat er Sohn und Schwiegertochter verloren. Seine Alte sammelt Holzscheite, um den Ofen anzuheizen. Sie hat einen Mantel zum Trocknen aufgehängt, sie kommen also aus dem Wald. Im Ofen kocht kein Essen ...
Das war ein so heftiges Gefühl ... Eine solche Liebe ...
Ja, Hass, Kränkung – alles zusammen. Aber ... Unser Zug musste halten. Ich weiß nicht mehr, warum – wegen Streckenarbeiten oder Lokwechsel. Ich saß zusammen mit einer Krankenschwester, und neben uns kochten zwei unserer Soldaten Grütze. Da kamen zwei deutsche Gefangene und baten um Essen. Wir hatten Brot. Wir teilten es und gaben ihnen davon. Die Soldaten, die gerade Grütze kochten, redeten darüber: ›Sieh mal, wie viel Brot die Ärzte unserem Feind geben!‹ Und noch etwas von wegen, die kennen ja den richtigen Krieg gar nicht, haben die ganze Zeit im Lazarett gesessen, woher sollen die ...
Nach einer Weile kamen andere Gefangene und gingen zu den Soldaten, die Essen kochten. Der Soldat, der so über uns geschimpft hatte, sagte zu einem Deutschen: ›Willst was zu fressen, ja?‹
Der Gefangene blieb stehen. Wartete. Der andere Soldat reichte seinem Kameraden ein Brot: ›Na los, schneid ihm was ab.‹
Der schnitt ein Stück Brot ab. Die Deutschen nahmen das Brot und blieben stehen – sie sahen ja das Essen im Topf.
›Na schön‹, sagte der eine Soldat, ›gib ihnen Grütze.‹
›Sie ist doch noch nicht fertig.‹
Verstehen Sie?
Die Deutschen, als hätten sie ihn verstanden, blieben stehen. Warteten. Die Soldaten gaben noch Speck in die Grütze und füllten ihnen etwas in die Kochgeschirre.
So ist die Seele des russischen Soldaten. Uns haben sie beschimpft, und dann gaben sie ihnen selber Brot und obendrein noch Grütze, aber erst, als auch Speck dran war. Daran erinnere ich mich ...
Ein so heftiges Gefühl ... Nur Liebe ... Zu allen ...
Der Krieg war schon lange vorbei, und ich wollte in Urlaub fahren. Das war während der
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