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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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und für einen Moment war der Himmel schwarz und lärmend vom Flügelschlagen. Die Vögel flogen jedoch nicht weit. Dieses Festmahl war zu üppig, als dass sie sich so leicht würden abschrecken lassen. Die Krähen landeten auf den Dachsparren der leeren Häuser – derjenigen, die nicht zu verkohlt waren, um ihr Gewicht zu tragen – und schauten von dort aus zu, beäugten wachsam die Eindringlinge.
    Am Tor lagen Stapel aufgeblähter Leichname, zerhackt von Klingen und durchlöchert von zerbrochenen Pfeilen. Sie sah Männer und Frauen, einen Solaros in einer gelben Robe, die steif von getrocknetem Blut und weich durch die Verwesung war, sowie ein weiß gesprenkeltes graues Pferd mit zerschmetterten Vorderbeinen; aus seiner Brust ragte zersplittertes Holz. Maden krochen durch das Fleisch der Toten, das die Krähen bereits zerrissen hatten, fett wie Körner gekochter Gerste. Fliegen umschwärmten sie in summenden Wolken, so dicht, dass einige der Leichname aussahen, als hätte man sie in grobem, schwarzem Sand gewälzt. In ihnen steckten keine brauchbaren Pfeile mehr, bemerkte sie; die hatten die Mörder herausgezogen.
    Bitharn wickelte sich einen Schal ums Gesicht, um die Fliegen abzuhalten, während sie durch die Reste des Tors ritten. Der Grund dahinter war mit Leichen übersät. Ihr kleines Pferd warf den Kopf zurück und wieherte bei dem Gestank, während es mit dem Schweif nach den Insekten schlug. Kellands schwarzbrauner Hengst, gezüchtet für das Schlachtfeld, legte die Ohren an, ging jedoch weiter.
    Sie warf einen verstohlenen Blick auf Kelland. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Er saß in seinem Sattel so steif wie eine aus dunklem Sperrholz geschnitzte Statue, und er sah nicht auf die Toten hinab, aber wann immer sein Streitross drohte, auf eine ausgestreckte Hand oder einen Kleidersaum zu treten, lenkte der Ritter es zur Seite.
    In der Mitte des Dorfes gab es keine Fliegen. Auch keine Krähen. Aasfresser mochten sie sein, aber Fliegen und Krähen waren Geschöpfe der natürlichen Welt, und hier gab es für sie bloß Gift. Reichlich Leichen, aber nichts zu fressen.
    Die Hauptstraße aus festgestampfter Erde war dunkel und körnig. Sie sah aus wie ein Tonbett in der Woche nach einem Unwetter; einmal durchweicht, war es zu einer harten Kruste getrocknet, die knirschend unter den Pferdehufen barst. Es war jedoch nicht Wasser, das die Straße durchnässt hatte. Der Kies, in der Sonne zusammengebacken, stank nach Blut.
    Das Stroh auf den halb verbrannten Dächern hatte rote Flecken und schimmerte wie lackiert unter der Nachmittagssonne. Auch das Stroh stank nach Tod. Das ganze Dorf stank danach.
    Zwischen den Häusern lagen weitere Leichen. Kinder. Hühner. Eine Katzenmutter im Schatten einer niedergebrannten Schmiede, die noch immer ihr im Tod runzelig gewordenes Kätzchen im Nacken gepackt hielt, nachdem sie auf eine Sicherheit zugelaufen waren, die sie nie erreicht hatten. Die Leichen waren grässlich verschrumpelt und besprüht mit einem feinen Nebel aus Blut, das aus ihren Adern gesogen worden und wieder auf sie herabgeregnet war.
    Kelland schwang sich aus dem Sattel. Er nahm eine Handvoll Erde, zerdrückte sie in der Faust und ließ die blutigen Körner durch seine behandschuhten Finger sickern. »Es ist also wahr«, sagte er, und in seiner Stimme lag eine Härte, die Bitharn noch nie zuvor gehört hatte. »Die Dornen sind nach Westen gekommen.«
    Sie nickte. Sie saß nicht ab; sie wollte keinen Fuß auf diese besudelte Erde setzen. »Sollten wir sie verbrennen?«
    Der Antwort ging ein innerer Kampf voraus, aber am Ende schüttelte Kelland den Kopf. »Ich wünschte, wir könnten es tun. Es wäre richtig. Aber wir haben keine Zeit, um allen Toten die Ehre zu erweisen. Auch will ich den Dornen nicht verraten, dass wir ihnen folgen. Ich nehme an, sie werden von unserem Kommen erfahren, wenn sie es nicht bereits wissen, aber es ist nicht notwendig, auf jedem Schritt des Weges Signalfeuer für sie zu entzünden.«
    Bitharn nickte abermals, im Stillen erleichtert, aber sie brachen nicht sofort wieder auf. Kelland wollte für die Toten beten. Während er das tat, ritt Bitharn weiter durch das Dorf, um nachzusehen, was die Dornen sonst noch angerichtet hatten.
    Das Gemetzel in der Kapelle war noch schlimmer als das am Tor; aber hier war mit Schwert und Axt gemordet worden, nicht mit der widerwärtigen Magie der Dornen. Die Luft war dick von Fliegen und Verwesung. Gewöhnliche Dinge. Dinge, die sie

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