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Der Kristallstern

Der Kristallstern

Titel: Der Kristallstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda McIntyre
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Überbringer eingelöst werden. Beinahe überall, nur nicht hier.
    »Zur Hölle damit«, knurrte er.
    »Haben Sie ein bißchen…«
    »Nein!« sagte er, ohne sich umzusehen. »Kein Kleingeld.«
    »… Zeit, Sir?« Die Geistlingsfrau baute sich vor ihm auf, so zart wie ein Schilfrohr im Frühlingsteich. »Ich will nichts anderes von Ihnen als einen Augenblick Ihrer Zeit.«
    »Sicher«, sagte er, »ich habe ein bißchen Zeit.«
    Geistlinge hatten ihn immer in ihren Bann gezogen. Sie sahen aus wie Menschen, waren jedoch keine. Ihre ätherische Schönheit verzauberte Menschen, und sie wiederum waren von menschlichen Wesen fasziniert. Sie waren so verführerisch wie Inkuben und Sukkuben, gleichzeitig aber auch so fragil wie Spinnweben. Wenn ein Mensch und ein Geistling eine physische Beziehung eingingen, bedeutete das den sicheren Tod für den Geistling.
    Aber Anschauen kann ja nicht schaden, sagte Han zu sich selbst.
    Die Geistlingsfrau lächelte. Ihre langen, feinen goldgrünen Haare umgaben ihren Kopf wie ein Halo, und ihre großen schwarzen Augen suchten seinen Blick. Sie berührte seine Hand mit ihren zarten Fingerspitzen. Ihre goldbraune Haut glühte, und ihre goldenen Fingernägel riefen eine Gänsehaut bei ihm hervor. Ein Schauer durchlief ihn.
    »Was wollen Sie?« fragte er rauh.
    Die Geistlingsfrau lächelte. »Nichts. Ich möchte Ihnen etwas schenken. Den Weg zum Glück…«
    »Zu Ihrem Tod!« rief Han.
    »Nein«, sagte sie. »Nein, ich bin nicht so, nicht eine von denen. Ich pflegte…« Sie löste ihren Blickkontakt und sah hinunter auf die Straße, auf Abfälle, die neben ihren nackten Füßen lagen.
    Sie stand auf den Zehenspitzen. Ihre Füße hatten sich nie so entwickelt, daß sie flach auf dem Boden stehen konnte. Ihre Füße und Beine waren mehr die eines Fauns als die eines menschlichen Wesens.
    »Ich pflegte Menschen zu plagen«, sagte die Geistlingsfrau. »Ich war fasziniert von ihrer Art. Ich folgte ihnen, neckte sie – sie sind so erregend! Und ich dachte mir, es wäre es vielleicht wert, einen Menschen zu nehmen, selbst wenn es die letzte Erfahrung meines Lebens wäre.« Sie lächelte wieder, Glückseligkeit im Gesichtsausdruck. »Aber ich erkannte den Irrtum meines Tuns, meiner Gedanken und widmete mich der Aufgabe, anderen zu helfen, die Wahrheit zu erkennen! Die Wahrheit, daß wir alle gleich sind, daß wir in Freude miteinander kommunizieren können, wenn wir uns Waru hingeben!«
    Han lachte laut. Die Geistlingsfrau sprang zurück, überrascht und erschrocken zuerst, dann betrübt.
    »Sir? Habe ich etwas gesagt, das Sie belustigt?«
    »Etwas, das mich überrascht«, sagte Han. Er machte eine Handbewegung, deutete auf die Kuppel, die Tavernen und Lichter, die Etablissements, in denen man alles bekommen konnte, was man sich wünschte, wenn man das Geld dafür hatte. »Ich war nicht darauf gefaßt, bekehrt zu werden nicht hier.«
    Die Geistlingsfrau lächelte erneut und rückte wieder näher. »Aber welcher Ort wäre besser? Kommen Sie mit mir, ich werde es Ihnen zeigen. Wir sind gleich. Waru wird uns Freude spenden.«
    »Danke«, sagte Han. »Nein, danke.«
    »Vielleicht ein anderes Mal«, sagte die Geistlingsfrau; ihre Stimme war ein leises Versprechen. Sie ging auf den Zehenspitzen weg, winkte noch einmal über die Schulter und tauchte in der Menge unter.
    Han kicherte und schlenderte in die nächste Taverne. Er vergaß diese Begegnung mit dem Geistling, so wie er alle anderen Begegnungen mit einem Geistling vergessen hatte. Es war sinnlos, sich an sie zu erinnern, sinnlos, über Unmögliches nachzusinnen.
    Die Taverne war heiß und dunkel und verräuchert. Betäubendes Räucherwerk schwängerte die Luft und vermischte sich mit durchdringendem Weingeruch. Han setzte sich an die Bar und entspannte sich. Er konnte die Heimatwelten von etwa der Hälfte der anwesenden Gäste identifizieren. Die der anderen Hälfte waren ihm unbekannt.
    Grenzland, dachte er. Ein echtes Grenzland.
    Er lächelte vor sich hin, lachte dann wieder laut.
    Es war zu lange her, daß er eine Grenze überschritten hatte.
    »Minimum zwei Elemente.«
    Han wandte sich der Bar zu. Es war niemand zu sehen. Er blickte nach oben, dann nach unten – immer noch nichts.
    Ein schlanker Tentakel zupfte an seinem Ärmelaufschlag.
    »Minimum zwei Elemente.«
    Überall an der Bar winkten Tentakel, hielten sich in Wartestellung oder schlangen sich um Becher, Weingläser oder Flakons. Han stellte sich, um über den Rand der Bar zu blicken,

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