Der Kronrat (German Edition)
dachte.«
Ich konnte mir das gut vorstellen, denn diese dunklen Augen aus Rubin hatten mich schon immer abschätzig gemustert.
»Hast du die Klinge blankgezogen?«, fragte ich sie.
»Ich vermute, ich wäre dazu imstande gewesen«, meinte sie nach kurzem Nachdenken, während wir eilig die breite Treppe hinabgingen. »Aber ich wollte es nicht. Ich kenne Eiswehr und habe erlebt, wie Seelenreißer sein kann, doch Steinherz ist anders als die anderen Bannschwerter. Es berührt das Herz. Selbst mit Seelenreißer bist du imstande, Gnade zu üben, Leandra kann das nicht. Außerdem befürchte ich, dass Steinherz nicht nur einen Schwur auf seine Klinge zu seiner Mission macht, sondern jeden vorschnellen Entschluss als seine Aufgabe versteht.« Sie blieb auf einer Stufe stehen. »Er lässt seinem Träger wenig Spielraum, das ist es, was ich sagen will.«
Ich nickte langsam. In vielen Dingen war Seelenreißer eine fürchterliche Waffe, und auch meine Klinge beeinflusste mein Handeln, doch nicht in diesem Maße. Jedes dieser Schwerter war in meinen Augen eher ein Fluch als ein Segen.
»Wie verhält es sich mit Eiswehr?«, fragte ich. »Ist es auch so schlimm?«
» Sie «, meinte Serafine. »Sie ist weiblich. Und nein. Sie ist anders … nicht so zielgerichtet, dafür um ein Vielfaches anpassungsfähiger. Sie ist ein eher freundliches Geschöpf.«
»Hört sich seltsam an, von einem Schwert so zu sprechen«, meinte ich, während wir durch den Hof der Zitadelle schritten. »Meint du, es … sie lebt?«
»Sie ist zumindest von Leben erfüllt«, erklärte Serafine. »Sie hielt uns geborgen, und es war wie ein langer kühler Traum. Und dennoch ließ sie unsere Seelen nicht frieren. Es ist schwer zu beschreiben, und ich will es nicht noch einmal erleben, aber sie ist gütig. Ihr liegt mehr am Beschützen als am Töten.«
Wenn ich bedachte, mit welcher Gier Seelenreißer einst nach Leben getrachtet hatte, war es in der Tat seltsam, Serafine so von einem Bannschwert sprechen zu hören. Einen Moment lang wünschte ich, man hätte mir damals Eiswehr in die Hände gelegt statt Seelenreißer.
»Eiswehr passte sehr gut zu Jerbil«, sagte Serafine leise, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Sie war sein Schwert. Dass du nun ein anderes führst, hat sicher einen Grund.«
So schnell und zügig, wie wir gingen, dauerte der Weg hinunter in die Hafengarnison nicht ganz so lange wie mit der Kutsche. Mit Besorgnis sah ich die Sonne steigen, noch war Zeit, aber nicht mehr allzu viel. Die Wachen an der Hafengarnison schienen nicht sonderlich erfreut, mich zu sehen; sie erwiderten meinen Salut, musterten meine Uniform mit Misstrauen und schickten jemanden, den diensthabenden Offizier zu rufen.
Eine zierliche Frau mit einem Blick, dem sicher selten etwas entging, kam heran und stellte sich als Schwertmajorin Rikin vor. Sie hörte uns an und bedeutete uns mit einer knappen Geste, ihr zu folgen.
»Elgata lobt Euch in höchsten Tönen«, teilte sie mir mit, als sie uns eine Treppe hinunterführte und durch einen langen Gang. »Euer Rang allein hätte nicht gereicht, Euch Zugang zum Gefangenen zu gewähren. Dass Elgata zu Euch steht, gab den Ausschlag.« Sie winkte einen Korporal herbei, der uns eine schwere Tür aus Stahl aufschloss. In der kargen, fensterlosen Zelle hinter dieser Tür saß unser Nordmann niedergeschlagen auf seiner Pritsche, den Kopf schwer in seine Hände gestützt. Er sah auf, als er die Tür hörte, und seine Augen weiteten sich ungläubig.
»Ihr habt ein Viertel einer Kerze Zeit, nicht mehr«, erklärte uns die Majorin und schloss hinter uns die Zellentür.
»Havald«, rief der Nordländer erstaunt und eilte auf uns zu. »Ich hätte nicht gedacht, dass du noch für mich Zeit finden würdest!« Weit kam er nicht, denn eine klirrende Kette an seinem linken Knöchel hielt ihn zurück.
»Setz dich«, wies ich ihn an. »Viel Zeit haben wir wahrlich nicht. Ich bin hier, um zu hören, was du zu sagen hast. Verlier keine Zeit und spar dir die Umwege! Bist du schuldig an dem, was man dir nachsagt, oder nicht?«
Er setzte sich und sah mit gequälter Miene zu mir auf. »Ich fürchte, dass ich es bin.«
Ich seufzte. Ich hatte es erwartet, aber etwas anderes gehofft. »Was genau ist geschehen?«
»Ich war einst ein geachteter Krieger des Wolfsklans meiner Heimat«, begann er leise. »Ein Prinz meines Volkes, der Jüngste von fünf, wollte sich auf eine Erkundungsreise um die Welt begeben und suchte unter den besten Kriegern
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