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Der Kronrat (German Edition)

Der Kronrat (German Edition)

Titel: Der Kronrat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Schwartz
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adressiert hatte; es trug ein Siegel mehr. Doch er sagte nichts, sondern stand nur gerade da und versprach, die Briefe gleich weiterzuleiten.
    Es war jetzt lange nach der ersten Glocke, viel Schlaf würde ich bis zum Morgen nicht mehr bekommen. Ich hätte ihn mir auch ganz sparen können, denn wieder lastete ein Alb schwer auf mir. Es war ein Mühlrad, auf dem wir marschierten, in einer langen Reihe, ich, Serafine, Leandra, all die anderen. Und wir marschierten diesem anderen Rad entgegen, das uns wie Korn zerrieb. Ich wachte schweißgebadet auf, noch bevor es dazu kam, und saß schwer atmend in meinem Bett.

35. Familienbande
     
    Den Morgen über las ich weiter Akten, die mehr und mehr ein Bild ergaben, das ich zutiefst verabscheute. Kurz nach Mittag wurde die Tür aufgerissen; wir waren alle so in die Arbeit vertieft, dass wir zusammenzuckten.
    »Ho, Havald!«, brüllte Ragnar, als wären es nicht acht, sondern hundert Schritt von der Tür zu meinem Schreibtisch. »Sie haben das Schiff gesichtet, meine kleine Schwester ist bald da. Komm, lass sie uns ansehen!«
    »Sofort«, gab ich zur Antwort, tat die Akten in die Kassette und schlug den Deckel zu. Als ich nach Seelenreißer griff, sah ich Stofisk, wie er mich bittend ansah.
    »Leutnant«, sagte ich barsch zu ihm. »Wenn Ihr meint, Ihr könntet Euch hier ausruhen, irrt Ihr. Ihr kommt mit!«
    Sein breites Grinsen erhellte fast den ganzen Raum, Serafine sah schmunzelnd von ihm zu mir und lachte leise – und wich dann geschickt Ragnars langem Arm aus, als er sie zu sich heranziehen wollte.
    »Ich bin im Dienst«, meinte sie.
    »Denkt Ihr, dass ich nach der sechsten Glocke mehr Erfolg haben werde?«, fragte Ragnar und wackelte mit den Augenbrauen.
    »Nein«, entgegnete sie lachend. »Dann wird mir ein anderer Grund einfallen!«
     
    Drei Gruppen warteten auf die Königin der Varlande, als ihr Schiff das Hafentor passierte. Zum einen waren es die Varländer, die in ihre besten Tücher und Felle gekleidet und mit polierten Waffen dort standen, ein bunter und unruhiger Haufen, in dem die Trinkhörner herumgingen und es viel zu lachen gab. Dann edel gekleidete Abgesandte des Handelsrats, die sich über Kornpreise unterhielten und mögliche Gewinne. Eine junge Frau mit schwarzen Haaren und in einer Tracht gekleidet stand scheu daneben und hielt einen Korb Rosen. Wenn man zu ihr hinsah, lächelte sie tapfer und suchte sich eine Stelle, an der sie möglichst im Erdboden verschwinden konnte.
    Dann gab es da noch uns: Serafine, Ragnar, Stofisk und mich. Ich hatte Orikes erwartet, vielleicht sogar den Kommandanten, doch der Leutnant klärte mich auf.
    »Es ist der Handelsrat, der die Stadt regiert. Zusammen mit den Ständen.«
    »Warum nennt man ihn Handelsrat, wenn er eigentlich der Stadtrat ist?«
    »Askir wird offiziell noch immer vom Kaiser regiert«, erklärte der junge Mann. »Es war ursprünglich die Ständevertretung, die Gesandte vor den Kaiser schickte, um die Belange der Stadt zu regeln, doch über die Jahrhunderte hat es sich so ergeben. Der Kommandant befiehlt dem Militär, die Inquisitoren achten auf die Gesetze und der Rat darauf, dass die Stadt reich wird … und er mit ihr.«
    »Gelingt das?«, fragte ich.
    »Dass sie reich werden? O ja.«
    »Und die Stadt?«
    »Lass mich es dir erklären, Havald«, meldete sich Ragnar zu Wort. »Schau, die Leute brauchen Gold in der Tasche, damit sie etwas kaufen können. Der Trick ist, ihnen Löhne zu zahlen und ihnen dann etwas zu verkaufen, das ihnen den Lohn wieder aus der Tasche zieht. So arbeiten manche sogar ohne Lohn, ohne es zu bemerken.«
    »Das ist hart gesagt«, meinte Stofisk, »aber wahr.«
    »Es ist einer der Gründe, warum ich Askir nicht mag«, meinte Ragnar grimmig. »Es interessiert hier nicht, ob jemand lebt oder stirbt, solange man an ihm verdient.«
     
    Das Schiff der Königin trug an Bug und Heck den Drachenkopf und war so groß, dass es zwei Masten besaß. Vier weitere Schiffe begleiteten das königliche Schiff, diese glichen den Drachenbooten, die ich bereits kannte. Alle fünf Schiffe waren voll von Menschen, Krieger der Varlande mit Äxten, Schilden, Schwertern und Speeren, außerdem Frauen in festlichen Gewändern, Kinder und – ich stutzte – gut ein Dutzend Ziegen.
    Hinten am Ruder des Königsschiffs, von sechs grimmig blickenden Kriegern umgeben, stand eine junge schlanke Sera in einer einfach geschnittenen Robe aus königlichem Rot, mit einem eisernen Reif um die Stirn und mit einem

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