Der Kronrat (German Edition)
Ehre«, grollte der Marschall. »Aber was nützt das, wenn er nicht zugegen ist?«
»Ihr begeht einen Fehler, Marschall«, sagte Perdis leise.
»Ihr habt den Priester doch gehört. Wir wurden mit unserem eigenen Verrat verraten!«
»Warum macht Ihr es Euch dann so schwer?«, fragte Zokora. »Was zu tun ist, steht doch im Vertrag.«
»Ja«, wiederholte der Marschall. »Wenn die Allianz zerbricht, fallen die Reiche an den Kaiser zurück. Aber dafür braucht es einen Kaiser!«
»Ihr braucht einen, der Kaiser ist !«, sagte Zokora und klang etwas gereizt. »Oder eine Kaiserin! Jemand, der die Krone Askirs trägt. Mehr braucht ihr nicht! Habt ihr denn nie den Teil studiert, in dem er die Gesetze des Reichs festlegte? Dort steht es.«
»Was steht dort?«, fragte der Kommandant und schien selbst überrascht. Mir ging es nicht besser.
»Wie er die Erbfolge geregelt haben wollte. Es galt für die Prinzen der Reiche, es galt für den Marschall und auch für Askirs Krone. Ein leiblicher Nachfahre oder eine Wahl.«
»Eine Wahl?«, fragte der Marschall verblüfft. »Er wollte, dass man einen Kaiser wählt ? Warum denn das?«
»Damit Einigkeit herrscht«, sagte Zokora kühl. »Doch hauptsächlich wollte er es so regeln, dass die Kaiserkrone auf seine Nachfahren fällt.«
»Und wie?«, fragte Keralos atemlos. Er war nicht der Einzige, der Zokora wie gebannt ansah. »Der Kaiser hatte keine Kinder!«
»Ein menschlicher Herrscher, so mächtig wie er war? War er denn prüde?«, fragte Zokora. Sie sah zu Asela. »Du kanntest ihn. War er schüchtern, oder spielte er die Flöte?«
»Nein, ganz sicher nicht«, meinte Asela und lächelte. »Er liebte die Seras, das ist sicher, doch er war diskret.«
»Sag mir, Asela, ist es nicht so, dass er einen Sohn hatte? Und eine Tochter?«
Asela zögerte.
»Es ist lange her«, drang Zokora leise in sie. »Es schadet niemanden, wenn es nun bekannt wird.«
»Woher wisst Ihr das?«, fragte die Eule leise, während nun alle wie gebannt an den Lippen der beiden Seras hingen.
»Er ließ sie im Tempel taufen«, sagte Zokora. »In seinem Glauben. Es gibt diese Bücher noch, man muss sie nur suchen. Dort habe ich die Namen seiner Kinder gefunden.«
»Die Tochter ist schon lange tot«, antwortete Asela gepresst.
»Ja. Aber was ist mit dem Sohn?«, hakte Zokora unerbittlich nach. »Sag uns, wer er ist.«
»Es war Balthasar«, verkündete Asela leise und mit bebender Stimme. »Balthasar, der seinen Vater verraten hat.«
»Deshalb also seine ungeheure Macht«, stellte Santer leise fest. Desina schlug die Hand vor ihren Mund. Ein gewaltiges Gemurmel erfüllte den Saal.
»Götter!«, entfuhr es mir. »Zokora, das …«
»Still«, unterbrach sie mich. »Ich bin noch nicht fertig!«
Alle im Saal hielten inne.
»Balthasar ist tot«, sagte Asela. »Das hilft nicht viel.«
»Ist er das?«, fragte Zokora und zog eine Augenbraue hoch. »Nun gut. Hatte Balthasar Kinder?«
Asela zögerte.
»Meine Tochter, wisst Ihr, ob er Kinder hatte?«, fragte Bruder Jon sanft.
Asela schluckte. »Ja.«
»Wer ist es?«
»Desina, die Tochter von Balthasar und Lysanne, der Tochter von Gildenmeister Oldin«, sagte Asela so leise, dass man sie fast nicht hörte, doch in dieser Halle erreichten ihre Worte jedes Ohr. »Desina wurde nicht zufällig zur Prima des Turms.«
»Verfluchte Brut«, schimpfte Perdis. »Also hat Feltor gelogen, und sie lebt!« Er hob den Kopf, und sein Spitzbart zitterte. »Genug von dieser Farce«, drohte er, trat einen Schritt vor, und noch während er sprach, glitt ein Schimmern über ihn und zeigte uns nun einen wohlgestalteten Jüngling mit langem, lockigem, blondem Haar und einem Gesicht, dessen Züge ich zuletzt bei Kriegsfürst Celan gesehen hatte. Aber wer er wirklich war, wusste ich in dem Moment, als mich auf sehr handfeste Weise ein Albtraum einholte, der mich seit Ordun plagte: Ich war nicht fähig, mich zu bewegen, stand wie angenagelt da und fühlte, wie Angst und Panik nach mir griffen.
»Mein Name ist Kolaron, ich erhebe Anspruch auf den Mantel der Dunkelheit, mein Wille ist Gesetz. Die Welt bebt unter meinem Schritt und ordnet sich nach meinem Willen neu!«, intonierte er mit einer weichen, glockenklaren Stimme und zeigte ebenmäßige Zähne. »Ihr dürft mich verehren. Kniet nieder, und ich werde euch vergeben. Liebt mich, und ich werde euch erheben. Trotzt mir, und die Dunkelheit wird euch finden, wo ihr euch auch verstecken werdet!«
»Hat er das nicht schön gesagt,
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