Der Kronrat (German Edition)
anderen Tempel sind diesem untergeordnet«, teilte uns der Priester mit und verzichtete nun auf aufgesetzte Freundlichkeit. Dieser Mann war es nicht gewohnt, dass man ihm widersprach. »Wer auch immer es war, er besaß nicht das Recht, diese Waffe ohne unsere Erlaubnis an jemanden weiterzugeben. Er wird zur Rechenschaft gezogen werden.«
Das wiederum wagte ich zu bezweifeln. Vater Urios weilte schon seit Jahrhunderten bei Soltar.
»Es ist eine Reliquie unseres Glaubens und steht Euch nicht zu«, wiederholte er, stand auf und hielt mir seine Hand fordernd entgegen. »Ich bin unter diesem Himmel der höchste Priester unseres Gottes, wollt Ihr mir verweigern, was dem Gott gehört?«
Ich warf einen Blick zu Serafine, doch von ihr war keine Hilfe zu erwarten, sie schien genauso überrascht wie ich. Seelenreißer war Soltar geweiht, seine Scheide trug das Zeichen des Gottes, und er war mir von einem seiner Priester übergeben worden. Es fühlte sich falsch an, aber sosehr ich mit meinem Gott auch manchmal über Kreuz gewesen war, ich konnte schlecht seinem höchsten Stellvertreter auf dieser Weltenscheibe verweigern, was ihm gehörte.
Schweigend fasste ich an meinen Gürtel, hakte Seelenreißer aus und legte ihn vor dem Mann auf den Tisch.
»Danke«, meinte er und griff nach dem Schwert. »Ihr dürft nun gehen.«
Ich stand auf und wollte mich umwenden, als der Priester versuchte die Waffe anzuheben – und es ihm nicht gelang.
In Gasalabad hatte ein anderer Priester meines Glaubens ihn nehmen und ziehen können, ohne dass etwas geschah, doch diesem Mann hier verweigerte er sich.
»Was habt Ihr getan?«, grollte Jon. »Was für ein Hexenwerk ist das? Die Klinge ist so schwer wie hundert Steine!«
Ich trat an den Tisch heran, nahm Seelenreißer an mich und wich dem Hohepriester aus, als er nach mir und dem Schwert greifen wollte.
»Was tut Ihr da?«
»Ich nehme ihn wieder mit«, sagte ich. »Offenbar ist er nicht für Euch bestimmt.«
»Erst recht nicht für Euch! Dieses Schwert wird nur von Soltar selbst überreicht!«, empörte er sich. »Ihr werdet mit dieser Klinge den Tempel nicht verlassen, dazu müsstet Ihr mich schon erschlagen!«
Ich legte die Hand an das Heft, Serafine stand neben mir und schüttelte leicht den Kopf. Aber diesmal wollte ich nicht vernünftig sein.
»Euch und jeden anderen, wenn es sein muss«, verkündete ich. »Wenn Ihr es gehütet habt, wisst Ihr, was das für ein Schwert ist. Zwingt mich nicht dazu.«
»Ihr droht mir?«, fragte Jon entgeistert. »Dieses Schwert wird nur einem gehören, und er wird es aus der Hand des Gottes selbst empfangen. Niemand anders wird es tragen können! Schaut Euch an! Ihr teilt mir mit, dass Ihr bereit seid, einen Priester Eures Gottes zu erschlagen. Sagt mir nun, dass Eure Seele nicht schon in Gefahr ist!«
Ich beugte mich vor, bis ich dem Mann ganz nahe war, er wich nicht zurück, sondern funkelte mich nur mit selbstgefälliger Empörung an.
»Was ist, wenn ich Euch sage, dass ich das Schwert durch die Hand des Gottes erhalten habe? Nicht nur einmal, sondern gleich dreimal? Ihr werdet es nicht bewegen können, und es wird ein viertes Mal seinen Weg zurück zu mir finden.«
»Dann sage ich, dass das nicht möglich ist!«
»Und warum nicht?«, fragte ich gefährlich leise. Es war, als ob in diesem Moment Dämme in mir brachen. Alles, was ich mühsam in mir verbarg, drängte vor und ließ ein Gefühl des Zorns aufkommen, wie nur selten zuvor. Das war der falsche Moment, um von mir duldsame und fromme Einsicht zu erwarten. Ich traute Seelenreißer mehr als diesem Mann, egal, wessen Roben er trug.
»Weil es genau einen gibt, der dazu bestimmt ist, diese Klinge zu führen! Er ist niemand anders als der Engel Soltars, der entsendet werden wird, um den Zwist der Götter auf dieser Welt zu beenden!«, rief der Priester erzürnt und deutete mit einem zitternden Finger auf mich. »Ihr wollt doch wohl kaum Er sein, der Flut, Pest und Beben über uns bringt, die Ordnung der Welt zerstört und einen Gott erschlagen will? Die dunkle Pest des Namenlosen ist verflucht genug, doch niemand ist so verflucht wie der, den Soltar zu uns schicken wird, denn sein Engel wird einen Namen tragen, der selbst ein Fluch ist!«
»O Götter«, flüsterte Serafine leise und sprach damit das aus, was ich dachte.
»Wollt Ihr das?«, tobte der Hohepriester und stieß mir mit einem knochigen Finger hart gegen die Brust. »Wollt Ihr derjenige sein, der als Letzter steht, in einem
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