Der Kronrat (German Edition)
Meer aus Blut, und diese Klinge erheben gegen einen Gegner, der nicht besiegt werden kann? Wollt Ihr die Legion der Toten in die letzte Schlacht werfen? Die Verlorenen unter einem Banner vereinen und der Dunkelheit und einem Gott selbst trotzen? Wollt Ihr dieser Engel sein?«
Einen Moment lang war ich wie taub und hatte nur den seltsamen Gedanken, dass ich der Essera Falah wohl Abbitte leisten musste. Wie es schien, hatte sie doch recht behalten. Es ging nicht darum, dass ein Engel auf einer goldenen Leiter vom Firmament herunterstieg, es reichte wohl, wenn jemand Soltar diente und dumm genug war, eine ganz bestimmte Klinge zu führen.
»Habt Ihr Euch schon einmal gefragt, Bruder Jon, ob der, der dieses Schwert erhalten soll, denn eine Wahl hat?«, fragte ich, während eine seltsame Ruhe von mir Besitz ergriff, die nach dem Zorn soeben umso überraschender kam.
»Soltar lässt uns immer die Wahl«, sagte Jon, nun auch etwas ruhiger, und sah mich forschend an. Ja, ich hatte wählen können, doch es hatte nur eine Wahl gegeben.
»Ich nehme an, es handelt sich um eine Prophezeiung«, sprach ich weiter. »Was sagt sie aus?«
»Sie spricht von einer Schlacht der Götter. Von einem Gott, der erschlagen werden soll und doch unbesiegbar bleibt. Von einer Schlacht, die unsere gesamte Welt mit Tod überzieht, von einem Kampf der Götter selbst. Und davon, dass am Ende der, der diesen letzten Streich gegen den Gott führen soll, versagen wird und auf dieser Klinge endet.«
Das war nicht das, was ich hören wollte.
»Was geschieht, wenn dieser Engel des Gottes nicht erscheint?«
»Dann ist die Welt verloren.«
»Das ist sie auch, wenn der Engel kommt. Ihr habt es selbst gesagt.«
»Nicht ganz. Denn wenn der Engel stirbt, bleibt die Hoffnung übrig.« Der Priester war immer leiser geworden und sank nun auf seinen Stuhl zurück, um mich müde und misstrauisch zu beäugen. »Sie wäre verloren, wenn es nicht zu dieser letzten Schlacht käme.«
»Die der Engel verlieren wird.«
»Ja«, meinte Jon und rieb sich müde die Schläfen. »Es ist ein Rätsel, und seitdem wir die Worte des Gottes zum ersten Male vernahmen, versuchen wir, sie zu ergründen. Diese letzte Schlacht ist notwendig, damit die Hoffnung überdauert. Ohne diese Schlacht gibt es auch keine Hoffnung mehr. Es ergibt keinen Sinn. Denn der Engel wird den Gott nicht erschlagen können, es wird nur eine geben, die dies zu tun vermag, die Tochter des Drachen.«
Ich wusste von jemandem, der die Tochter des Drachen sehr fürchtete.
Der Priester betrachtete das Schwert, das ich noch immer in der Hand hielt. »Habt … habt Ihr es schon benutzt?«, fragte er leise.
»Ja.«
»Oft?«
»Zu oft.«
Er holte tief Luft. »Habt Ihr damit schon jemanden erschlagen, der es nicht verdient hat?«
Ich zögerte. »Ich kann mir nicht sicher sein. Im Kampf … wer verdient zu sterben, wer nicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht, was ich meine. Es muss ein ganz besonderer Tod sein, der die letzte Schlacht einleitet. Meint Ihr, Ihr hättet es bemerkt, wenn Ihr jemand Unschuldigen erschlagt? Ein Kind vielleicht?«
»Nein«, protestierte ich entsetzt. »Ich habe vieles getan, aber nie ein Kind erschlagen!«
»Dann ist es nicht zu spät«, meinte Jon und seufzte erleichtert. »Es braucht eine reine Seele, schuldlos vor den Augen der Götter, und es muss die größte aller Schandtaten sein, denn Ihr müsstet jemanden mit dieser Klinge erschlagen, der Euch liebt. Es kann kaum etwas anderes sein als ein Kindsmord. Und Ihr seid sicher …«
»Ja«, sagte ich rau. »Ich bin mir sicher, dass ich niemals ein unschuldiges Kind erschlagen habe. In meinem ganzen Leben habe ich mich nicht an einem Kind vergriffen, und das wird auch nie geschehen!«
»Dann gebt mir das Schwert. Ich werde es in Verwahrung nehmen, wie auch alle, die nach mir kommen. Und wir wollen beten, dass der Engel noch nicht geboren ist, und es noch lange dauern wird, bis er diese Waffe fordert.«
Ich wog Seelenreißer in der Hand. »Wie deutlich sind die Worte des Gottes? Prophezeiungen sind nicht immer leicht zu deuten, das habe ich zu meinem Leidwesen erfahren müssen.«
Der Priester musterte mich lange und forschend, dann erhob er sich. »Folgt mir.«
Serafine und ich wechselten einen Blick, sie war so bleich, wie ich es wohl selbst auch war, dann folgten wir Jon. Er führte uns wieder durch die Halle, an der Statue des Gottes vorbei, hinüber zu dem großen, mit Gaben geschmückten Altar. Es waren
Weitere Kostenlose Bücher