Der Kronrat (German Edition)
werden. Oft genug hatte ich mich über das beschwert, was der Gott mir aufbürdete, aber jetzt kam mir meine eigene Last fast lächerlich vor.
In seinem Amtsraum angekommen, seufzte der Priester und sah uns nacheinander an. »Habt Ihr noch etwas, das mich erschüttern wird?«, fragte er erschöpft. »Oder ist es genug für heute?«
»Ich habe ein Anliegen, Bruder Jon«, sprach der junge Gerlon.
»Nur heraus damit!«
»Ich habe es Euch oft genug gesagt. In den Schriften wird ein Unheiliger erwähnt, dessen heilige Fesseln zu versagen drohen, und sein Fluch wirkt sich bereits im Tempel aus. Selbst in Eurem Unwillen, sich der Sache anzunehmen, mag der Fluch bereits eine Wirkung zeigen.«
Der alte Mann betrachtete ihn lange und seufzte dann vernehmlich. »Ich fürchte, du bist von diesem Gedanken besessen.«
»Die Siegel brechen. Ihr wisst doch selbst, dass nur noch eines übrig ist!«
»Ja. Sie brechen, weil sie nicht mehr nötig sind«, erkärte der alte Mann geduldig. »Kannst du mir nicht einfach vertrauen, Gerlon? Meinst du, es gibt ein Mysterium in diesem Haus, von dem ich nichts weiß?«
»Warum erlöst Ihr mich dann nicht von meinen Ängsten, Bruder Jon?«, fragte der junge Priester voller Inbrunst. »Ihr müsst doch wissen, wie sehr es mich quält, keine Antworten zu finden!«
»Du bist ein Schüler im zweiten Grad, Gerlon, und du fragst und forschst nach Dingen, die dir noch verschlossen sein sollten. Du musst lernen zu vertrauen – der Priesterschaft, mir und unserem Gott. Er ist das Licht, das die Dunkelheit besiegt. Meinst du wirklich, dass er uns in die Irre führt?«
»Aber ich habe die Zeilen gelesen!«
»In einem Buch, das du nicht hättest lesen dürfen. Einem Buch, das verschlossen ist, damit solche wie du sich nicht die Köpfe darüber zerbrechen.«
»Bruder Jon«, unterbrach ich vorsichtig. »Ihr wisst also, wovon Bruder Gerlon spricht. Ihr sagt, dass es keinen Grund gibt, Soltar nicht zu vertrauen, und dass keine Gefahr besteht, selbst wenn diese Siegel brechen. Warum habt Ihr mich dann zu Bruder Gerlon geschickt?«
»Weil Ihr ihm den Frieden geben könnt, den er sucht. Aber anders, als er denkt.«
»Ich nehme jede Art von Frieden, der mir meine Albträume erleichtert!«, begehrte der junge Mann auf. Er seufzte. »Obwohl ich jetzt neue haben werde, nach dem, was sich eben vor unserem Gott zugetragen hat …«
Damit hatte er wahrscheinlich recht.
»Was hat das alles mit Ser Roderic zu tun?«, stellte Serafine die Frage, die auch mir auf der Zunge lag.
»Wenig genug mit ihm selbst und mehr mit dem Schwert an seiner Seite«, seufzte Bruder Jon. »Es wird Bruder Gerlon bestätigen können, dass der Verfluchte vernichtet ist.« Er erhob sich von seinem Stuhl. »Bringen wir es hinter uns.« Er sah zu Bruder Gerlon. »Wenn du hoffst, dass deine Zweifel damit vergangen sind, dann wirst du enttäuscht werden. Du wirst zweifeln, solange du lebst, aber dein Glaube muss stärker sein als diese Zweifel, nur so kannst du unserem Gott dienen. Aber vielleicht hilft es dir, deinen Frieden zu finden.«
Er trat an einen Schrank, den gleichen, dem er vorhin Wein und Becher entnommen hatte, und zog eine Lade auf. Dieser entnahm er einen großen Schlüssel aus Gold, Silber und Obsidian, groß genug, um einen Ochsen damit zu erschlagen. Auf dem Schlüsselkopf war ein Symbol eingearbeitet, das mir bekannt vorkam.
»Dein erster Irrtum, Gerlon«, sagte der Priester sanft, »ist, dass du denkst, der Unheilige sei hier gebannt worden. Unter diesem Tempel gibt es keine Gruft, verborgen oder offen. Keine geheimen Räume, überhaupt nichts. Was du als Siegel bezeichnest, sind nur Zeichen, die den Zustand der wahren Siegel deuten, aber die sind nicht hier zu finden. Geh, Gerlon, und such Bruder Mircha, er wird bald meine Nachfolge antreten. Auch wenn es dir nicht zusteht, zu wissen, was ich dir nun zeigen werde, Mircha muss es von Amts wegen sehen.«
»Nerton«, sagte Serafine plötzlich. »Es ist das Zeichen des Göttervaters auf dem Schlüssel, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte der Hohepriester, während Gerlon sein Haupt senkte und davoneilte. »Ihr habt in der Tempelschule aufgepasst.«
»Der vierte Tempel, derjenige, der verschlossen ist«, riet ich, und der Hohepriester nickte.
»Genau der«, sagte er ruhig. »Vielleicht ist es wichtig, dass Ihr seht, was ich Euch zeigen werde. Das ist ein Grund, warum ich Gerlons Drängen nachgebe … und weil er so verzweifelt ist.«
Es klopfte an der Tür, Bruder
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