Der Kronrat (German Edition)
Träume lassen mich verzweifeln, versteht Ihr nicht? Ich muss etwas tun, aber man lässt mich nicht! Ihr wisst genügend über die Verfluchten, Ihr könnt mir helfen … wenn uns der Hohepriester lässt.«
»Er hat uns zu Euch geschickt«, meinte ich. »Also liegt ihm etwas daran. Wir werden sehen, wie wir helfen können. Aber ich muss Euch gestehen, dass ich eher dazu neige, dem Hohepriester zu glauben, als zu denken, dass ein Verfluchter im Angesicht unseres Gottes so lange übersteht.«
»Ser Roderic wird schwerlich so viel über die Seelenreiter wissen wie ich«, erklärte die Maestra. Sie sah nachdenklich drein. »Ich halte es nach wie vor für unwahrscheinlich, aber dennoch, es könnte stimmen. Zu der Zeit, von der Ihr sprecht, gab es die Bannschwerter noch nicht. Ohne ein solches Schwert ist es sehr schwer, einen Seelenreiter zu vernichten. Ich weiß, dass Askannon die Bannschwerter genau zu diesem Zweck erschuf. Aber erst, als dieser Tempel schon lange stand. Also gut, sagen wir, es wäre theoretisch möglich.« Sie sah von mir zu Serafine und zu dem Priester. »Es gibt die absonderlichsten Talente, die ein Seelenreiter stehlen kann. Es gibt solche, die vor Entdeckung schützen, vor Feuer oder vor einer bestimmten Waffe. Es mag sein, dass dieser Unheilige, von dem der Priester spricht, einen Schutz besitzt, der ihn sogar vor Soltars Willen bewahrt. Es ist denkbar, aber nicht wahrscheinlich. Niemand widersteht der Macht eines Gottes auf ewig. Ohne ein Bannschwert ist der Tempel eines Gottes der beste Weg, einen Nekromanten zu vernichten. Es ist vorstellbar, dass Askannon hier im Tempel einen von ihnen binden ließ. Aber dass der Unheilige noch leben soll, kann ich nicht glauben.«
»Die Schriften sind nicht deutlich, aber es gibt Hinweise darauf, dass die Katakomben vom Archiv aus zu erreichen sind«, meinte Gerlon eindringlich. »Vor drei Jahren ging Bruder Mircha hinunter ins Archiv und kam verändert zurück. Vorher war er ein gütiger Mann, der in seiner Hingabe zu unserem Gott Erleuchtung und Frieden fand.« Er sah Serafine und mich fordernd an. »Wirkt er auf Euch gütig und hingebungsvoll? Selbst Bruder Jon muss zugeben, dass Mircha anders ist als vorher, aber er sieht andere Gründe dafür. Und bald wird Bruder Mircha die Worte des Gottes für uns deuten und die Geschicke dieses Tempels und damit aller anderen Tempel Soltars leiten! Was, wenn Bruder Mircha unter dem Bann des Verfluchten liegt? Wollt Ihr das wagen, oder wäre es nicht doch besser, sicherzugehen?« Er wies auf Seelenreißer. »Mit diesem Schwert müsstet Ihr imstande sein, diesem Unheiligen ein Ende zu bereiten. Und wenn wir den Verfluchten doch tot vorfinden, was ist dann verloren? Nichts außer etwas Zeit!«
»Muss es denn jetzt gleich sein?«, fragte ich mit einem Seufzer. »Heute noch?« Ich wusste nicht genau, wie spät es war, es musste knapp vor Mitternacht sein und …
Der Priester öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich hörte nichts von ihm, denn über uns schlug die Tempelglocke und ließ mit ihrem tiefen Klang den mächtigen Tempel und den Boden unter unseren Füßen vibrieren. Von zwei anderen Tempeln kam Glockenschlag als Antwort. Achtmal schlugen die Tempelglocken, es war tatsächlich Mitternacht. Die Stunde Soltars. Als ich die Finger aus meinen Ohren nahm, hörte ich aus dem Inneren des Tempels den Gesang der Gläubigen, die sich zur Mitternachtsmesse versammelt hatten.
»Ich glaube kaum, dass Bruder Jon sich zur Ruhe gebettet hat«, gab ich mich geschlagen. »Also werden wir ihn stören.« Ich schaute zu Asela hin. »Werdet Ihr uns begleiten?«
»Ihr traut nicht einmal einem Priester Eures Gottes, nicht wahr?«, meinte sie mit einem schiefen Lächeln.
»Nun, bedenkt, wer Ihr seid«, erinnerte ich sie.
»Gut«, sagte sie und hob den Kopf. »Ich halte nicht sehr viel davon, mich der Gnade anderer zu unterwerfen, und sei es auch ein Gott. Wenn sie die Geschicke der Menschen bestimmen, dann waren es die Götter, die zuließen, dass Kolaron geboren wurde. Aber wenn Soltar mich leben lässt, werde ich ihm meine Beichte zu Füßen legen, wahrlich, ich habe es nötig.« Sie verzog das Gesicht und lachte bitter. »Dann weiß er wenigstens, was sein Versäumnis ist.«
Mit hoch erhobenem Haupt marschierte Asela voran, ihr Schritt knapp und militärisch, als ob sie zu ihrer Hinrichtung schreiten würde. Wir folgten ihr schweigend. Als sie über die Schwelle in die innere Halle trat, heiligen Boden berührte,
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