Der Kronrat (German Edition)
zögerte sie kaum merklich und schritt dann weiter. Ein Wind kam auf, ließ ihre langen Haare wehen und zerrte an ihren Gewändern. In Halbkreisen zu Füßen des Gottes angeordnet, knieten die Gläubigen zu Gesang und Gebet. Der Gesang und das Gebet stockten, als Asela mitten unter sie trat. Der Wind wurde stärker und ließ ihre Gewänder flattern, während sich an den Gläubigen um sie herum, die fassungslos und verschreckt zu ihr hochsahen, kein Haar bewegte.
Unwillkürlich hielt ich den Atem an.
Asela stand nun vor der Treppe zur Statue, dort, wo der Gott vor Kurzem noch zwei andere gestraft hatte, und hob stolz ihr Kinn. Demut kannte sie offenbar nicht. »Ich bin hier«, rief sie. »Richte mich, oder vergib mir!«
»Soltar muss der Gott mit der größten Geduld sein«, flüsterte Serafine neben mir. »Jedenfalls scheint er die Art von Gläubigen unter seinem Dach zu versammeln, die mehr fordern als bitten!« Sie warf mir einen bezeichnenden Blick zu. »Ich kenne da noch jemanden.«
»Sschht«, flüsterte ich. »Ich will sehen, was geschieht!«
Plötzlich schien ein Blitz Asela zu durchfahren, riss sie hoch und zurück, bog ihren Rücken durch, als ob es sie zerbrechen wollte. Der Wind wurde zu einem Sturm, der sie weiter hochhob, während sie den Kopf in den Nacken warf, den Mund zu einem unhörbaren Schrei weit aufriss … Dann schoss ein Strom von Dunkelheit und Hass, von Wut und Verzweiflung, von Angst und Schrecken in einem schwarzen Strahl aus ihrem Mund empor zu den nächtlichen Sternen über der offenen Kuppel. Ich konnte es spüren und schmecken. Nicht nur ich, alle Anwesenden, Serafine und der junge Priester, auch die Gläubigen, stöhnten auf, als die Verzweiflung uns ergriff. Und nachdem der Sturm verebbt und Asela vor den Füßen des Gottes in sich zusammengesunken war, weinten wir alle.
»Götter«, hauchte Serafine, die neben mir auf dem Boden lag, und suchte meine Hand, während ich mühsam versuchte, mich wieder aufzurichten. »O Götter«, wiederholte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Wie soll ein Mensch diese Verzweiflung ertragen können?«
»Kann er nicht«, schluchzte der junge Gerlon neben uns. Nur mühsam fand er seine Fassung wieder. Auch ich suchte noch danach und benutzte die Ärmel meiner Robe, um mich zu schnäuzen. »Niemand vermag das …«
Mühsam arbeiteten wir uns zu Asela vor, die von einem Ring aus weinenden Gläubigen umgeben war. Auch der Hohepriester eilte herbei und kniete sich neben die Frau, die bleich und schön vor den Stufen unseres Gottes lag.
»Lebt sie noch?«, brachte ich mühsam hervor.
Bruder Jon griff ihr an den Hals und sah dann zu mir auf, auch seine Augen waren feucht. »Ja. Doch, bei Soltar, wer ist diese gequälte Seele?«
»Genau das, Bruder, eine gequälte Seele«, sagte Serafine neben mir und schnäuzte ihre Nase in ein Tuch, das sie irgendwoher genommen hatte. »Mit alldem, was ein Mensch nicht ertragen kann, ohne daran zu zerbrechen.« Sie blickte auf ihre alte Freundin herab, kniete sich dann neben sie und strich ihr zärtlich über die Haare. »Das hat sie gesagt.« Sie sah mit feuchten Augen hoch zu mir. »Als könnten Worte beschreiben, was wir eben gefühlt haben.«
»Es scheint ein Tag der Überraschungen zu sein«, meinte der Hohepriester mit bebender Stimme und richtete sich mühsam auf. Ich hielt ihm die Hand hin, doch er schüttelte den Kopf. »Ich bete auf meinen Knien, und wenn ich mich nicht mehr vor ihm erheben kann, bleibe ich eben knien«, sagte er. »Aber noch ist es nicht so weit.« Er gab zwei heraneilenden Priestern ein Zeichen. »Wir werden sie schlafen lassen und sie in eine unserer Gebetszellen bringen, um uns um sie zu kümmern.«
Wir sahen zu, wie die beiden Priester Asela vorsichtig hochhoben und zu den hinteren Räumen brachten. Es war schwer zu sagen, wie alt sie war, doch in diesem Moment wirkte sie jünger, als es möglich sein sollte.
Mit einer Handbewegung wies Bruder Jon uns an, ihm zu folgen, während einer der Priester vortrat, um die Gläubigen zu beruhigen, und von einem Wunder sprach, dessen sie teilhaftig geworden waren.
»… niemals verspürte ich eine solche Verzweiflung«, sprach dieser. »Doch es beweist die Gnade unseres Gottes, dass er selbst eine solche Last von uns nehmen kann …«
So verstört, wie manche der Gläubigen wirkten, hatte ich meine Zweifel, ob sie es als Wunder empfanden, bei einem einfachen Mitternachtsgebet von solch dunkler Verzweiflung erdrückt zu
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