Der Kronrat (German Edition)
Jon rief »Herein!«, und die Tür öffnete sich und zeigte einen anderen Priester, der ebenfalls ziemlich verzweifelt aussah.
»Sie lässt sich nicht aufhalten!«, beschwerte er sich. »Es hat sie schwer getroffen, sie braucht Ruhe und Schlaf, aber sie will nicht hören!«
Wir brauchten nicht zu fragen, wen er meinte, denn im gleichen Moment trat Asela herein und schob den Priester mühelos zur Seite.
»Schlafen kann ich, wenn ich in Soltars Hallen weile«, meinte sie und lächelte. Die Spuren ihrer Prüfung waren leicht zu erkennen, die Augen waren vom Weinen rot, Erschöpfung stand ihr in jede Falte ihres Gesichts geschrieben. Wenn sie eben noch jung auf mich gewirkt hatte, so schien sie nun deutlich älter. »Ich werde so schnell nicht wieder an der Gnade der Götter zweifeln«, sprach sie. »Er hat die Verzweiflung von mir genommen, die Angst, den Hass und die schrecklichsten Erinnerungen. Und noch mehr: Er hat mir meine Taten verziehen.« Sie richtete ihren lodernden Blick auf Serafine. »Es ist mir seit Langem nicht mehr so gut gegangen. Und wenn Ihr wirklich einen Verfluchten zerstören müsst, der so alt und mächtig ist, werdet Ihr meine Hilfe brauchen.«
»Wer seid Ihr, mein Kind?«, fragte Bruder Jon und gab dem Priester ein knappes Zeichen, woraufhin dieser die Tür hinter Asela schloss.
»Ein Diener des Alten Reichs, nach langer Reise zurückgekehrt. Mehr will ich Euch nicht sagen. Und ich weiß die Gnade zu schätzen, die der Gott mir soeben erwiesen hat. Aber es gibt für mich zu viel zu tun, um jetzt rasten zu können.«
»Ihr meint wohl, eine Dienerin?«, fragte Bruder Jon, woraufhin Asela ihn erst verstört ansah und dann nickte.
»Genau das.«
»Nun, Eure Hilfe ist nicht vonnöten, denn der Verfluchte ist schon lange nicht mehr. Aber wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr uns begleiten. Es gleicht schon jetzt mehr dem Ausflug einer Tempelschule als allem anderen.« Er sah auf, als sich die Tür erneut öffnete. »Gut, Mircha, du bist auch da. Dann lasst uns gehen.«
»Ein Ausflug?«, meinte Bruder Mircha ungehalten. »Dann stehe ich besser den Verstörten in der Halle zur Seite.«
Der Hohepriester seufzte. »Es ist nötig, Mircha.« Er sah zu Gerlon, der Bruder Mircha zweifelnd beäugte. »Ich habe an Euch beiden versagt, wie mir scheint. Vielleicht ist das die Gelegenheit, es zu richten. Und nun folgt mir. Bitte.«
Zum ersten Mal spürte ich, warum dieser Mann der oberste Priester meines Gottes war, denn in dieser letzten Bitte lag ein ganzes Leben voll von Glauben und Wissen, eine Überzeugung, das Richtige zu tun, die keinen Widerspruch zuließ.
15. Die Eule Erinstor
Es war eine seltsame Prozession, die in der Nacht über den Tempelplatz schritt, dem dunklen Tempel entgegen. Je näher wir ihm kamen, desto mehr erinnerte mich seine Bauweise an einen anderen Tempel, tief unter den Donnerbergen. Auf diese Art und Weise waren auch beim Wolfstempel die Steine gefügt gewesen. So alt war er, dass die Säulen und Portalsteine Spuren von Verwitterung aufwiesen. Die schweren Türen waren überzogen von einer Patina der Jahrhunderte oder vielleicht gar der Jahrtausende. Bis auf das Haupttor waren alle anderen Türen oder Fenster mit schweren Steinen zugemauert. Wind hatte Staub und Erde in jede Fuge geblasen, dort wuchs zähes Gras, und hier und da zeigten sich auch kleine Blüten, die auf den kommenden Sommer hoffen ließen. Es lagen eine Ruhe und eine Last des Alters auf diesem Ort, die mich beeindruckten.
»Wisst Ihr, wie alt dieser Tempel ist?«, fragte ich den Hohepriester, als er mit der Hand das Schlüsselloch in der großen Tür freilegte.
»Älter als alles andere«, gab Bruder Jon zur Antwort und führte den großen Schlüssel mit beiden Händen ein. »Die Texte in den Archiven gehen auf die Zeit der Elfen zurück, sogar weiter. Wenn Ihr den Gott seht, werdet Ihr es verstehen.«
Er versuchte den Schlüssel mit beiden Händen zu drehen, doch er bewegte sich nur leicht, dann knirschte es vernehmlich, und der Schlüssel steckte fest.
»Das hatte ich vergessen«, sagte Bruder Jon und schüttelte den Kopf. »Ich werde wahrlich alt. Es ist fünfzig Jahre her, dass diese Tür das letzte Mal geöffnet wurde, und auch damals dauerte es Tage, um sie freizulegen. Ich werde es morgen veranlassen.« Er wandte sich an Mircha und Gerlon. »Ich verspreche euch, dass ich euch zeigen werde, was ihr sehen müsst, doch es wird nicht heute sein.«
»Würdet Ihr mir erlauben zu helfen?«, fragte
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