Der Kruzifix-Killer
Killers«, sagte Captain Bolter auf einmal im Ton einer Feststellung und trat vom Fenster weg. Die anderen standen wie vom Donner gerührt.
»Wissen Sie etwas, was wir nicht wissen?« Garcia stellte die Frage, die allen auf der Zunge lag.
»Erst seit kurzem. Da wäre noch eine Sache, die ich Ihnen zeigen will, bevor ich die Jungs von der Spurensicherung ranlasse.«
Hunter hatte sich darüber schon von Anfang an gewundert. Normalerweise nimmt das Team von der Spurensicherung den Tatort ab, bevor die Detectives sich dort umsehen dürfen, doch diesmal hatte der Captain darauf bestanden, dass Hunter zuerst an Ort und Stelle war. Und Captain Bolter brach eigentlich nie das Protokoll.
»Sehen Sie sich mal ihren Nacken an«, sagte er und neigte den Kopf in Richtung der Leiche.
Hunter und Garcia wechselten einen beunruhigten Blick und traten dann erneut zu der Frauenleiche.
»Ich brauche irgendwas, womit ich ihren Kopf anheben kann«, sagte Hunter. Dr. Winston reichte ihm einen ausziehbaren Metallzeigestock.
Hunter nahm ihn und richtete den Lichtkegel seiner Taschenlampe auf den entblößten Nacken der Frau. Was er sah, löste einen Wirbelsturm an Gedanken in seinem Kopf aus. Er starrte ungläubig auf die Stelle – kreidebleich im Gesicht.
Garcia konnte von da, wo er stand, nicht sehen, was Hunters konsternierten Blick verursachte. Doch was immer es auch war, es hatte Hunter eine Heidenangst eingejagt.
6
H unter war neununddreißig, doch sein jugendliches Gesicht und sein durchtrainierter Körper ließen ihn wie einen Mann Anfang dreißig wirken. Er war etwas über eins achtzig groß, breitschultrig, hatte hohe Wangenknochen und kurze blonde Haare. Sein Outfit beschränkte sich in der Regel auf Jeans, T-Shirt und eine ausgebeulte Lederjacke. In jeder seiner Bewegungen lag eine geballte, konzentrierte Körperkraft, doch das Fesselndste an ihm waren seine durchdringend hellblauen Augen: Aus ihnen sprachen Intelligenz und absolute Entschlossenheit.
Hunter war als einziges Kind eines Ehepaars aus der Arbeiterschicht in Compton aufgewachsen, einem sozial schwachen Viertel im Süden von Los Angeles. Als er sieben war, verlor seine Mutter den Kampf gegen den Krebs. Sein Vater heiratete nicht wieder und musste zwei Jobs annehmen, um alleine mit einem Kind über die Runden zu kommen.
Hunter machte schon als Kind auf sich aufmerksam – es war offensichtlich, dass er anders war als seine Altersgenossen. Er hatte eine schnellere Auffassungsgabe als die meisten um ihn herum. Die Schule langweilte und frustrierte ihn. Den Sechstklässler-Stoff bewältigte er in gerade mal zwei Monaten und las sich danach, einfach um sich zu beschäftigen, den Stoff der siebten, achten und neunten Klasse an. Mr Fratelli, der Schuldirektor, war so beeindruckt von dem begabten Jungen, dass er ihm einen Termin an der Mirman School in Mulholland Drive verschaffte, einer Schule für Hochbegabte im Nordwesten von Los Angeles. Dr. Tilby, der Schulpsychologe der Mirman School, ließ Hunter ein ganzes Arsenal von Tests absolvieren: Hunter bestand sie alle, mit einem Ergebnis »jenseits der Skala«. Eine Woche später wechselte Hunter in die achte Klasse der Mirman School. Da war er gerade mal zwölf.
Mit vierzehn arbeitete er sich bereits mühelos durch den Highschool-Lehrplan in Englisch, Geschichte, Biologie und Chemie. Vier Jahre Highschool waren in zwei Schuljahren zusammengefasst, und so hatte Hunter bereits mit fünfzehn seinen Abschluss mit Bestnoten absolviert. Mit den Empfehlungsschreiben seiner sämtlichen Lehrer in der Tasche wurde Hunter als Ausnahmestudent mit Stipendium an der Stanford University angenommen – Amerikas Top-Universität für Psychologie zu der Zeit.
Eigentlich war Hunter gutaussehend, doch so jung und spindeldürr, wie er war, und dazu noch mit seinem eigenwilligen Kleidungsstil hatte er wenig Erfolg bei Mädchen und war ein bevorzugtes Opfer für die Schikanen tyrannischer Mitschüler. Er hatte weder den Körperbau noch eine besondere Begabung für Sport und verbrachte seine Freizeit am liebsten in der Bibliothek. Er las mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit, die Bücher wurden von ihm regelrecht verschlungen. Die Welt der Kriminologie faszinierte ihn ebenso wie die Psyche der sogenannten »Bösen«. Mühelos hielt er sein gesamtes Studium hindurch einen Top-Notendurchschnitt. Doch die ständigen Hänseleien und das Image der »halben Portion« nervten ihn. Also suchte er sich ein Fitnessstudio und nahm an
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