Der Kruzifix-Killer
breiten Metalltisch zwischen ihm und Hunter.
»Sind Sie sicher, dass Sie keinen Anwalt bei diesem Verhör hinzuziehen wollen?«
»Der Herr ist mein Hirte.«
»Na gut. Sie heißen Mike Farloe, ist das richtig?«
Der Mann hob den Blick von seinen gefesselten Händen und schaute Hunter direkt in die Augen. »Ja.«
»Und Ihre augenblickliche Adresse lautet 5 Sandoval Street in Santa Fe?«
Für jemanden, dem die Anklage wegen »mehrfachen Mordes« drohte, war Farloe eigenartig ruhig. »Da habe ich bisher gewohnt, ja.«
»Bisher?«
»Von jetzt ab werde ich doch im Gefängnis wohnen, nicht wahr, Detective? Zumindest für eine kleine Weile.« Seine Stimme klang dumpf und monoton.
»Wollen Sie denn ins Gefängnis?«
Schweigen.
Hunter war der beste Mann in Verhörtechnik im ganzen Dezernat. Sein fundiertes Wissen in Psychologie befähigte ihn, Verdächtigen höchst wertvolle Informationen zu entlocken, manchmal sogar Geständnisse. Er konnte die Körpersprache und nonverbalen Signale eines Verdächtigen lesen wie eine Anzeigetafel. Captain Bolter wollte jede noch so winzige Information über diesen Mike Farloe, die aus ihm herauszubekommen war, und Hunter war seine Geheimwaffe.
»Können Sie sich daran erinnern, wo Sie in der Nacht des 15 . Dezember des vergangenen Jahres waren?« Das war die Nacht, bevor das letzte Opfer des Kruzifix-Killers gefunden wurde.
Farloe schaute ihm noch immer geradewegs in die Augen. »Ja, kann ich …«
Hunter wartete ein paar Sekunden lang auf die Antwort, doch sie kam nicht.
»Und wo waren Sie?«
»Ich habe gearbeitet.«
»Und was für eine Arbeit ist das?«
»Ich reinige die Stadt.«
»Sie arbeiten bei der Müllabfuhr?«
»Stimmt. Aber ich arbeite auch für unseren Herrn Jesus Christus.«
»Inwiefern?«
»Ich reinige die Stadt«, wiederholte er ruhig. »Ich reinige die Stadt von Schmutz – Sündern.«
Hunter spürte förmlich, wie Captain Bolter sich auf seinem Stuhl im Beobachtungsraum jenseits der verspiegelten Glasscheibe rührte.
Hunter massierte sich mit der rechten Hand den Nacken. »Gut. Wie steht’s dann mit dem …« – er ließ kurz den Blick über die Notizen wandern, die er sich mitgebracht hatte – »… 22 . September. Wissen Sie noch, was Sie in jener Nacht gemacht haben?«
In dem kleinen Beobachtungsraum runzelte Wilson, Hunters Partner, verdutzt die Stirn. » 22 . September? Was soll da passiert sein? An dem Tag wurde kein Opfer gefunden, nicht mal in den Tagen davor oder danach. Was zum Teufel macht Hunter da?«
Die sieben Morddaten des Kruzifix-Killers hatten sich in Wilsons Hirn förmlich eingebrannt, und er war sich sicher, dass Hunter sie ebenso gut kannte. Dazu brauchte er nicht in seine Notizen zu schauen.
»Lassen Sie ihn einfach seine Arbeit machen«, lautete die Antwort von Dr. Martin, einem Polizeipsychologen, der das Verhör mit ansah.
»Dasselbe. Da habe ich genau dasselbe getan«, erwiderte Farloe überzeugt. Die Antwort überraschte alle im Beobachtungsraum.
»Was?«, murmelte Wilson. »Heißt das, es gibt ein Opfer, von dem wir nichts wissen?«
Captain Bolter zuckte bloß mit den Schultern.
Hunter hatte Mike Farloes Reaktionen genau beobachtet, hatte versucht, einen Einblick in sein Denken zu gewinnen, verräterische Signale zu erkennen. Aus der Verhaltenspsychologie wusste Hunter, dass er die Augenbewegungen Farloes beobachten musste – laut Schulbuch bedeutete eine Pupillenbewegung nach links oben, dass die Person auf den Teil der Großhirnrinde zugriff, in dem innere Bilder produziert wurden, die vorher noch nicht da waren, also ein klares Anzeichen dafür, dass die Person log. Eine Pupillenbewegung nach rechts oben bedeutete hingegen, dass die Person ihr Gedächtnis nach visuell erinnerten Bildern absuchte, daher also vermutlich die Wahrheit sagte. Doch Farloe zeigte überhaupt keine Augenbewegungen. Seine Augen waren so starr wie die eines Toten.
»Was ist mit den Gegenständen, die wir in Ihrem Wagen gefunden haben? Können Sie mir dazu etwas sagen? Woher haben Sie die?«, fragte Hunter weiter. Darunter waren ein Pass, ein Führerschein und ein Sozialversicherungsausweis, die man in einer Papiertüte unter dem Ersatzreifen von Mike Farloes rostigem 1992er Oldsmobile Custom Cruiser gefunden hatte. Jedes dieser Dokumente gehörte einem anderen Opfer. Im Kofferraum hatte die Polizei außerdem einige blutige Kleiderfetzen gefunden. Eine DNA-Analyse hatte ergeben, dass sie denselben drei Opfern gehört hatten.
»Die
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