Der Kruzifix-Killer
standen ein Computer, ein Telefon und ein Faxgerät. Dank zweier Fenster zur Ostseite hin und mehrerer 50 -Watt-Halogen-Lampen an der Decke war der Raum sehr hell. Zu Hunters und Garcias Überraschung waren bereits sämtliche Originalakten des Kruzifix-Killer-Falls hereingeschafft worden: Sie lagen in zwei riesigen Stapeln auf den beiden Schreibtischen. An der südlichen Zimmerwand war eine Korkpinnwand aufgezogen worden, an der bereits sämtliche Fotos der sieben ersten Opfer des Killers hingen und dazu das neue der gesichtslosen Frau.
»Was denn, keine Klimaanlage, Captain?«
Captain Bolter überging Hunters Sarkasmus und wandte sich an Garcia: »Sind Sie inzwischen im Bilde?«
»Ja, Captain.«
»Sie wissen also, womit wir es hier womöglich zu tun haben?«
»Ja«, antwortete Garcia mit dem Hauch eines Zitterns in der Stimme.
»Okay. Auf Ihrem Schreibtisch finden Sie alles Material, das wir zu den alten Fällen haben«, fuhr der Captain fort. »Hunter, Sie sind ja bereits damit vertraut. Die Computer haben eine T 1 -Internetverbindung, und jeder von Ihnen hat eine eigene Telefon- und Fax-Leitung.« Er trat zu den Fotos an der Pinnwand. »Sie sprechen über diesen Fall mit niemandem, weder innerhalb noch außerhalb des Morddezernats, verstanden? Wir halten die Untersuchung so lange wie irgend möglich geheim.« Er schwieg einen Moment und blickte beide Detectives scharf an. »Wenn der Fall an die Öffentlichkeit dringt, darf niemand erfahren, dass es hier möglicherweise um denselben Psychopathen geht, der das da getan hat«, sagte er und deutete auf die Fotos der Opfer. »Daher will ich auch nicht, dass irgendjemand bei dem neuen Fall vom Kruzifix-Killer redet. Was uns angeht, ist der Kruzifix-Killer tot, hingerichtet vor ungefähr einem Jahr. Das hier ist ein nagelneuer Fall, verstanden?«
Die beiden Detectives machten eine Miene wie Schuljungen, denen der Direktor die Leviten liest. Sie blickten zu Boden und nickten nur.
»Sie beide kümmern sich ausschließlich um diesen Fall, nichts sonst. Sie beißen sich in diesen Fall rein, bis er Ihnen aus allen Poren kommt, verstanden? Ab morgen will ich jeden Tag um zehn einen Bericht über die Ereignisse des Vortags auf meinem Tisch, und zwar so lange, bis wir den Kerl haben.« Captain Bolter ging zur Tür. »Ich will alles wissen, was in diesem Fall passiert, egal ob gut oder schlecht. Und tun Sie mir einen Gefallen: Lassen Sie die verdammte Tür nicht offen stehen. Wehe, hier sickert irgendwas durch.« Damit knallte er so laut die Tür hinter sich zu, dass es im Inneren des Raums widerhallte.
Garcia stellte sich vor die Fotos und betrachtete sie schweigend. Es war seine erste Begegnung mit den Original-Polizeiakten des Kruzifix-Killer-Falls. Zum ersten Mal sah er mit eigenen Augen, was für ein Grauen der Killer angerichtet hatte. Dabei kämpfte er gegen die aufsteigende Übelkeit an. Seine Augen saugten alles auf, während sein Verstand sich dagegen sträubte. Wie konnte irgendjemand zu so etwas fähig sein?
Einem der Opfer, einem Mann, fünfundzwanzig Jahre alt, waren die Augen in den Schädel gedrückt worden, bis sie unter dem Druck geplatzt waren. Seine Hände hatte der Täter so gründlich zermalmt, dass die Knochen praktisch pulverisiert waren. Einem anderen Opfer, einer vierzigjährigen Frau, hatte der Killer den Bauch aufgeschlitzt und sie ausgenommen wie erlegtes Wild. Einem dritten Opfer, diesmal ein fünfundvierzig Jahre alter Afroamerikaner, war der Hals der Länge nach aufgeschnitten worden; seine Hände waren wie zum Gebet gefaltet und zusammengenagelt. Auf den anderen Bildern gab es zum Teil noch grausigere Details. All diese Dinge waren den Opfern bei lebendigem Leib zugefügt worden.
Garcia erinnerte sich noch genau daran, wie er das erste Mal von den Kruzifix-Morden gehört hatte. Das war gut drei Jahre her, und er war damals noch kein Detective gewesen. Forschungen hatten inzwischen ergeben, dass in den Vereinigten Staaten ständig circa fünfhundert Serienmörder aktiv waren, die jährlich um die fünftausend Menschenleben forderten. Nur wenige von ihnen bekamen die breite mediale Aufmerksamkeit, die der Kruzifix-Killer genossen hatte, er hatte jedenfalls überproportional viel davon erhalten. Damals hatte sich Garcia gefragt, wie es wohl sein mochte, als Detective mit so einem hochkarätigen Fall betraut zu sein. Die Beweise zu sammeln, die Spuren zu verfolgen, die Verdächtigen zu verhören und dann alles zusammenzubringen, um den Fall
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