Der Kruzifix-Killer
der Mörder nervöser als das Opfer. Einige Killer bleiben bei ihrem modus operandi, einfach weil es so schon mal funktioniert hat und sie sich daher mit der Methode sicher fühlen. Manche entwickeln ihre Methode von Mal zu Mal weiter. Oder aber ein Täter stellt fest, dass eine bestimmte Methode nicht sehr effektiv war, nicht das, wonach er sucht. Vielleicht zu laut, vielleicht zu blutig, vielleicht zu schwer zu kontrollieren, was auch immer. Dann lernt der Killer daraus und versucht etwas Neues, das vielleicht besser taugt. So lange, bis er schließlich eine Methode gefunden hat, mit der er sich sicher fühlt.«
»Und bei der bleibt er dann«, schloss Garcia.
»Meistens, ja, aber nicht unbedingt.« Hunter schüttelte den Kopf.
Garcia schaute ihn fragend an.
»Serienkiller suchen für gewöhnlich nach einer Befriedigung … einer kranken Art der Befriedigung natürlich, aber trotzdem geht’s ihnen genau darum. Es könnte sexuelle Lust sein oder ein Gefühl von Macht, ein Gottgefühl, aber das ist noch nicht alles.«
»Der Akt des Tötens?« Garcias Stimme klang düster.
»Genau. Es ist wie mit Drogen. Am Anfang reicht schon eine kleine Dosis, um high zu werden, aber schon bald braucht man mehr und hangelt sich in immer kürzeren Abständen von Drogenrausch zu Drogenrausch. Im Fall eines Serienkillers bedeutet das, dass die Morde brutaler werden müssen, die Opfer müssen mehr leiden, um dem Killer die Befriedigung zu verschaffen, nach der er lechzt, und wie bei einer Droge gibt es auch hier üblicherweise eine kontinuierliche Steigerung.«
Garcia richtete den Blick erneut auf die Fotos. »Was ist hier die Steigerung? Sie wirken alle gleich brutal auf mich, eine Tat so monströs wie die andere.«
Hunter nickte nur.
»Es wirkt, als ob er sofort bis ans Ende der Skala gesprungen wäre. Was zu der Vermutung Anlass gibt, dass die Steigerung der Gewalt bereits früher in seinem Leben stattgefunden haben muss«, schloss Garcia.
»Stimmt genau. Du bist fix, Grünschnabel, aber du kannst das alles auch in den Akten nachlesen«, sagte Hunter und nickte mit dem Kopf in Richtung der beiden Aktenstöße auf den Schreibtischen.
»Kein einziger dieser Morde ging schnell«, stellte Garcia fest. Er hatte sich wieder zur Pinnwand gedreht.
»Korrekt. Der Kerl nimmt sich richtig Zeit für seine Opfer. Er genießt es, ihnen zuzusehen, wie sie leiden. Er kostet ihre Qualen aus. Daraus zieht er seine Befriedigung. Er übereilt nichts, gerät nicht in Panik, und genau das ist sein größter Vorteil uns gegenüber.«
»Leute, die in Panik geraten, machen Fehler, vergessen irgendwas, lassen etwas liegen«, führte Garcia den Gedanken aus.
»Exakt.«
»Aber unser Killer nicht?«
»Bis jetzt nicht.«
»Was ist mit diesem Symbol? Was wissen wir darüber?«, fragte Garcia und deutete auf ein Foto, das das eingeritzte Doppelkreuz im Nacken eines der Opfer zeigte.
»Jetzt wird’s kompliziert.« Hunters Mund straffte sich. »Wir haben einen Fachmann für Symbolik dazu befragt, als das erste Opfer gefunden wurde.«
»Und?«
»Das Symbol ist anscheinend eine Rückkehr zur ursprünglichen Form des Doppelkreuzes, auch Lothringer Kreuz genannt.«
»Wieso ursprüngliche Form?«
»In seiner ursprünglichen Form bestand das Doppelkreuz aus einem längeren vertikalen Balken, gekreuzt von zwei kürzeren horizontalen Balken, die gleich lang waren. Der untere und obere Querbalken waren jeweils gleich weit vom jeweiligen Ende des Längsbalkens entfernt.«
»Warum ›waren‹?«
»Weil sich mit der Zeit die Form dieses Kreuzes verändert hat. Der untere Querbalken wurde etwas länger als der obere, und beide Querbalken sind jetzt etwas weiter nach oben verschoben.«
Garcia richtete den Blick wieder auf die Fotos. »Dann ist das also die alte Version?«
Hunter nickte. »Man nimmt an, dass diese Version auf heidnische Zeiten zurückgeht. Jedenfalls glauben Historiker, dass es da erstmals benutzt wurde, allerdings als Symbol für ein zweischneidiges Schwert.«
»Okay, lassen wir die Historiker mal beiseite. Was bedeutet das alles?« Garcia machte eine ungeduldige Geste, um Hunters Vortrag abzukürzen.
»Psychologisch betrachtet, steht das Symbol, so nimmt man jedenfalls an, für einen Menschen mit einem Doppelleben – ein zweischneidiges Schwert, also eines mit zwei Klingen, klar? Darum geht es also, um eine Dualität, Gut und Böse, Weiß und Schwarz, alles in einer Gestalt. Jemand, der zwei völlig gegensätzliche Seiten
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