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Der Küss des schwarzen Falken

Der Küss des schwarzen Falken

Titel: Der Küss des schwarzen Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara McCauley
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deswegen nicht bei sich aufnehmen wollte, er wollte uns auch unsere Identität nehmen. Er wollte dafür sorgen, dass wir getrennt aufwuchsen und alle Brücken zu unserem früheren Leben zerstört wurden. Deshalb hat er uns praktisch in alle Himmelsrichtungen verschachert.”
    Grace war entsetzt und konnte kaum fassen, dass jemand imstande war, Kindern etwas Derartiges anzutun.
    “Wenn ich diesen Kerl eines Tages finde, bring ich ihn um – mit meinen bloßen Händen”, sagte Rand eisig.
    In seinen Augen stand ein gefährliches Funkeln, das Grace im ersten Moment erschreckte. Aber sie konnte nachempfinden, was er fühlte. Spontan legte sie den Kopf an seine Schulter. Rand blieb stocksteif liegen und rührte sich nicht. Aber er wich auch nicht zurück.
    “Dein Albtraum, aus dem du vorhin hochgeschreckt bist, hatte der mit dem Unfall zu tun?”, fragte sie vorsichtig.
    Er nickte. “Wir waren in der Stadt gewesen und gerieten auf dem Rückweg in ein Unwetter. Ein Blitz schlug unmittelbar vor dem Wagen in die Straße ein. Mein Vater verlor die Kontrolle über den Wagen, und wir stürzten den Abhang hinunter.” Rand schloss kurz die Augen. “Daran, was dann geschah, kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern. Ich weiß nur noch, dass es kalt und nass war, und dass meine Hose und mein Hemd voller Blut waren. Irgendwann zog ein Polizist mich aus dem Autowrack. Mein Onkel und eine Frau, die ich nicht kannte, standen schon oben an der Straße. Mein Onkel sprach kein Wort zu mir. Er hat nie ein einziges Wort mit mir gewechselt. Er sagte bloß zu der Frau, sie solle mich mitnehmen.”
    “Wer war die Frau?”
    “Ich habe keine Ahnung. Aber sie war diejenige, die mir dann erzählte, dass meine ganze Familie durch den Unfall ausgelöscht sei und dass man ein neues Zuhause für mich finden müsse. Ich verfluchte mich damals, weil ich als Einziger am Leben geblieben war, und wünschte mir, auch tot zu sein.”
    Gedankenverloren starrte Rand in die Glut, die noch in der Feuerstelle glomm. Grace kam es vor, als habe er mehr zu sich selbst gesprochen als zu ihr. Sie versuchte, ihn sich als den verängstigten kleinen Jungen vorzustellen, der er damals gewesen sein musste, einsam und verlassen, und ein unerhörter Zorn auf den Mann, der ihm das angetan hatte, stieg in ihr hoch.
    Aber was konnte sie ausrichten? Sie verbannte den Gedanken an Zorn und streichelte Rands Rücken. Allmählich entspannte er sich, das merkte sie, und schließlich nahm er sie wieder in die Arme.
    “Was wirst du unternehmen?”, fragte sie.
    Rand seufzte. “Grace, es sind dreiundzwanzig Jahre her. Es ist nicht einmal gesagt, dass Seth und Lizzie sich überhaupt noch an mich erinnern. Sie führen inzwischen längst ihr eigenes Leben. Was habe ich da zu suchen?”
    Vermutlich ist das sein größtes Problem, dachte sie, das Gefühl, nirgends hinzugehören. Er zog rastlos von Stadt zu Stadt, von Ranch zu Ranch. Auf die Idee, dass er wie jeder Mensch ein Recht auf ein Zuhause, auf Geborgenheit und Liebe hatte, kam er gar nicht.
    “Und wenn sie sich nun doch erinnern? Was ist, wenn sie dich all die Jahre hindurch vermisst haben, wenn sie nachts von dir träumen? Du warst ihr großer Bruder. Wie können sie dich da vergessen? Eines Tages erfahren auch sie, dass auch du noch am Leben bist. Was glaubst du, was sie dann tun werden? Sie werden anfangen, dich zu suchen. Und da willst du dich verstecken?”
    “Vielleicht wird es so sein.” Rand atmete tief durch. “Vielleicht auch nicht.” Er hielt inne. “Was ist? Du weinst ja?” Er fasste ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu sich, damit er ihr ins Gesicht sehen konnte. Dann wischte er ihr mit dem Daumen vorsichtig die Tränen von den Wangen. “Weinst du meinetwegen?”
    Grace schüttelte den Kopf. “Ich weine um einen kleinen neunjährigen Jungen, der keine Familie mehr hat.”
    Rand lächelte. Er nahm sie in die Arme und küsste ihr die Tränen vom Gesicht, die noch folgten. Ihre Lippen trafen sich. Grace konnte das Salz ihrer Tränen auf seinem Mund schmecken. Je länger der Kuss andauerte, desto mehr drängte neues Verlangen die Traurigkeit in den Hintergrund. Rand drückte sie an sich, und Grace schlang die Arme um ihn. Sie wollte ihm mehr geben, mehr als nur körperliche Lust. Aber angetrieben durch den Kuss war der brennende Wunsch, ihn erneut in sich zu spüren, für den Moment stärker als alles andere.
    Sie atmeten beide schwer, als er sich über sie beugte und sie langsam auf den Schlafsack

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