Der Kugelfaenger
ihnen das Fernsehen vorgaukelt. Die Wirklichkeit sieht oft aber etwas anders aus.
„Verstehe“, sagt George und wendet sich schließlich wieder dem Fleisch auf seinem Teller zu. Keine Minute später meint er: „Aber sind Sie nicht eigentlich zu alt, um Bodyguard zu sein?“
Tom verschluckt sich beinahe an seinen Nudeln. Catherine sieht aus, als könnte sie den ehrenwerten George jede Sekunde aus dem Haus jagen. Evelyn kichert unterdrückt.
Er sieht von seinem Teller auf. „Na, ich weiß nicht“, sagt er nach ein paar Sekunden. „James Bond turnt doch auch schon ziemlich lange in der Weltgeschichte herum.“
„Hm, da haben Sie recht“, sagt George mit einem Stirnrunzeln. Dann ändert er plötzlich das Thema. „Haben Sie schon mal jemanden erschossen? Einen Angreifer?“ Dabei sieht er so wissbegierig aus, als könnte er jede Sekunde vor Neugier platzen. Tom stuft den Bärtigen als glühenden Fan diverser Actionfilme ein.
Tom überlegt einen Moment. Er ist sich nicht sicher, ob es so klug wäre zu erwähnen, dass er vor ein paar Jahren schon mal die Dogge eines Klienten erschossen hat, da er fälschlicherweise annahm, es handle sich um einen Einbrecher. Und einen Hund kann man doch sowieso nicht mit einem Menschen vergleichen, oder?
„Nein“, lügt er daher mit gutem Gewissen. Lügen ist ihm noch nie besonders schwer gefallen. Ehrlich gesagt verhält es sich sogar so, dass ihm Lügen äußerst leicht über die Lippen rutschen. Scham fühlt er dabei allerdings nur sehr selten. Und lügen, manchmal auch genannt bluffen, kann er ausgezeichnet.
„Schade“, meint George enttäuscht und verliert das Interesse an Tom. Stattdessen beginnt er, sich mit Catherine mehr oder weniger angeregt zu unterhalten. George redet, Catherine hört zu.
Tom und Evelyn hingegen essen schweigend. Sie machen sich nicht mal die Mühe, ein zähes Gespräch in Gang zu setzen.
Evelyn stochert entweder in ihrem Essen herum ohne Tom auch nur eines Blickes zu würdigen oder sie hört mit gespielter Aufmerksamkeit ihrer Tante und ihrem Nachbarn zu. Genau genommen: Sie ignoriert ihn komplett.
Tom kann’s bloß recht sein. So hängt er seinen eigenen Gedanken nach. Und die drehen sich nur um das eine Thema: Was hat seinen Vater dazu bewogen, die Geschäftsführung an Rusty abzutreten? Sicher, David wird nicht jünger und gesundheitlich ist er auch nicht mehr auf dem Damm. Aber ausgerechnet Rusty …
Nicht, dass Tom ein Auge auf den Posten seines Vaters geworfen hätte, Gott bewahre. Tom kann sich wahrlich schöneres vorstellen. Aber es verhält sich nun mal so, dass er gerne gefragt worden wäre, bevor sich David an jemand anderen heranmacht. Zugegeben, selbst wenn ihm sein Vater die alles entscheidende Frage tatsächlich gestellt hätte, hätte er trotzdem nein gesagt. Na ja, zumindest gefragt hätte er halt werden wollen.
Damit hätte David ihm zumindest sein Vertrauen bewiesen.
Tom macht sich nichts vor. Es ist nun mal so, dass sein Vater nicht viel von ihm hält. Und das Wort
Vertrauen
sollte man in dieser Hinsicht mit Vorsicht genießen.
Sein Vater hat ihn bis jetzt bestenfalls in seiner Firma
geduldet
. Jetzt, da Rusty am Hebel der Macht sitzt, sieht es für Toms berufliche Zukunft düsterer aus als je zuvor. Ein Schnipp mit dem Finger und Tom würde auf der Straße stehen. Sein Bruder würde keine Sekunde zögern.
Als er jetzt sein Messer in das zähe Stück Fleisch rammt, hegt er sogar ernsthafte Mordgedanken. Natürlich, selbst kann er seinen Stiefbruder nicht aus dem Weg räumen, das wäre zu offensichtlich. Aber wozu gibt es denn Auftragskiller? Allerdings hat er keine Ahnung, wie er an so einen kommen könnte.
Seine düsteren Gedanken werden von Evelyn unterbrochen, die ihren noch halb vollen Teller von sich schiebt und aufsteht.
„Ich gehe ein wenig raus“, verkündet sie niemand bestimmtem.
„Kann ich mitkommen?“, hört sich Tom zu seiner eigenen Überraschung fragen. Er weiß selbst nicht so genau, wieso er diese Frage gestellt hat. Vielleicht weil er keine Lust hat, bei den beiden Senioren alleine am Tisch sitzen zu bleiben und Georges Vortrag über seine unzähligen Zipperlein, angefangen bei seinem eingewachsenen Zehennagel bis hin zu seinen von Rheuma geplagten Gelenken zu lauschen.
Evelyn zuckt nur mit den Schultern, stellt ihren Teller neben das Spülbecken, füllt ihr Weinglas nach und verschwindet im Flur. Tom bleibt unschlüssig sitzen.
„Nun gehen Sie schon“, ermutigt ihn Catherine. „Hat
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