Der Kugelfaenger
es Ihnen geschmeckt?“
„Es war köstlich“, sagt Tom und versucht das ziemlich zähe Fleisch zu vergessen. Er räumt ebenfalls seinen Teller weg und nimmt sein Glas mit.
Er findet sie vor der Haustür auf der Veranda. Sie steht mit vor der Brust verschränkten Armen am Geländer und sieht in den dämmrigen Garten. Sie hat eine Strickjacke über ihr T-Shirt angezogen und das langstielige Weinglas auf dem Geländer abgestellt.
Tom tritt neben sie. Es ist kühl geworden, aber ein Blick zum Himmel verrät ihm, dass die Wolken verschwunden sind, die vor kurzem noch den Himmel überzogen haben.
Die Haare in seinem Nacken richten sich auf, aber nicht wegen der Kälte. Es ist die frostige Art seiner neuen Klientin, die ihn frösteln lässt.
„Glauben Sie, dass es heute noch regnen wird?“, durchbricht Tom die Stille und seine Stimme hört sich erstaunlich rau an, so als hätte er seit Jahrhunderten nichts mehr gesagt.
Zu seiner Verwunderung reagiert sie auf seine Frage und wirft einen raschen Blick zum Himmel. „Nein“, sagt sie kurz und knapp. Dann nimmt sie einen Schluck aus ihrem Weinglas.
Tom lehnt sich an das Verandageländer. Er kommt sich ziemlich überflüssig vor. Trotzdem sagt er: „Schöner Abend, nicht wahr?“, ohne wirklich auf eine Antwort zu warten. Und Evelyn antwortet ihm daraufhin auch nichts. Sie starrt weiterhin in den Garten, als würde Tom keine zwei Meter neben ihr stehen.
Tom hat die Nase voll. Er hat keine große Lust mehr, Selbstgespräche zu führen. Trotzdem unternimmt er einen letzten Versuch. „Wie lange leben Sie eigentlich schon hier?“
„Lange“, sagt sie genauso einsilbig wie vorher.
„Aha.“ Was Besseres fällt ihm dazu nicht ein.
Evelyn lässt ihr Weinglas in ihrer Hand kreisen. Und zu Toms großer Überraschung entschließt sie sich anscheinend dazu, doch noch mit ihm zu sprechen. Sie sagt: „Ich bin nach dem Tod meines Onkels letzten Monat wieder hier her gezogen. Zu meiner Tante. Ich wollte sie nicht alleine lassen.“ Das sagt sie bedächtig, so als müsste sie erst die richtigen Worte finden.
Ah ha, denkt Tom. Das muss Mr. Williams sein, der, der nach Georges Meinung, viel zu früh verstorben ist.
„Entschuldigen Sie bitte, das tut mir leid.“ Tom sagt das, obwohl er diese Floskeln hasst. Wie kann man behaupten, es tue einem leid, dass jemand gestorben ist, wenn man denjenigen überhaupt nicht gekannt hat? Schließlich könnte es doch das größte Arschloch gewesen sein, dem man unter normalen Umständen nicht mal die Hand geschüttelt hätte. Für Tom stellt dieser Satz jedes Mal wieder eine Lüge dar. „Woran ist er gestorben?“, fügt er hinzu.
„An einem Unfall. Er ist besoffen ersoffen.“ Sie atmet tief ein und sieht in den Garten. Selbst von der Seite ihres Gesichtes kann Tom sehen, dass sie damit noch nicht fertig ist, wie sie aber versucht ihm und wahrscheinlich auch allen anderen vorzumachen.
Dann dreht sie sich plötzlich um, geht zu einem der Fenster, auf dem ein leerer Blumentopf steht und holt eine schmale Metallschachtel heraus, die fünf Zigaretten und ein Feuerzeug enthält. Sie pickt eine Zigarette aus der Schachtel und klemmt sie sich zwischen die Lippen. Dann zündet sie sie an. Sie bläst den Rauch aus ihren Lungen und blickt in den blassen Sternenhimmel. Nach einer Weile fragt sie: „Rauchen Sie?“ und hält Tom die Zigaretten hin.
„Eigentlich nicht. Nur gelegentlich.“ Er nimmt sich eine von Evelyns Zigaretten.
„Ich bin eigentlich auch keine Raucherin. Zumindest sehe ich mich nicht als solche“, sagt sie und lehnt sich mit dem Rücken ans Verandageländer.
(Anmerkung: Als sie mit Jamie, einem Jungen aus der Nachbarschaft, heimlich eine Zigarre seines Großvaters geraucht hat, bekam sie nach dem ersten Zug einen Hustanfall. (Jamie hat sie ausgelacht.)
Nach dem zweiten dachte sie, sie müsse ersticken. (Jamie hat nur noch mehr gelacht und wäre selbst beinahe an seinem Kaugummi erstickt.)
Nach dem dritten Zug wurde ihr so dermaßen schlecht, dass sie Jamie auf seine nagelneuen Schuhe gekotzt hat. (Jamie hat nicht mehr gelacht. Er hat vor Schreck seinen Kaugummi hinuntergeschluckt, die Zigarre seines Opas fallen gelassen und sich dadurch ein Loch in die Hose gebrannt. Mann, hat seine Mum geschimpft.)
Damals war sie vierzehn. Und bis vor zwei Jahren war es auch das letzte Mal, dass sie geraucht hat. Heute raucht sie nur wenn ihr der Sinn danach steht. Vor allem in Gesellschaft.)
„Wieso verstecken Sie die
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