Der Kulturinfarkt
Lage und mit durchschnittlicher Größe gilt wahrscheinlich, dass auch größte Rechenkünste keine Umwegrentabilität herstellen. Man denke an die Stadttheater in Graz oder Bielefeld, an die Musik- und Kunstschule einer mittelgroßen Stadt, an einen Stadthallenbetrieb mit Gastspielkonzerten großer Orchester. Umwegrentabilität ist – auch wo sie errechnet werden kann – immer schwerer zu erreichen, weil infolge der Angebotsausweitung im Kulturbetrieb Besuche immer mehr an öffentlichem Mitteleinsatz kosten. Die Statistik des deutschen Bühnenverbands zeigt, dass die durchschnittliche Besucherzahl pro Vorstellung deutlich gesunken ist, die Preise parallel dazu. Das macht Umwegrentabilität zu einem Luftschloss. Der Besucher rechnet ja genauso nach Rentabilitätskriterien. Er will möglichst viel herausholen für seinen Einsatz. Die Chance dafür ist dort am größten, wo schon viele hingehen.
Es gibt durchaus gute Gründe, Kultur zu fördern, die nicht selbst kulturell sind: Ein kulturell unterlegtes Standort- und Stadtimage ist kein direkter Beitrag zur Rentabilität öffentlicher Aufwände, sondern Marketing. Ein kulturelles Standortprofil muss nicht schaden. Allerdings sind solche Gründe kein Freibrief dafür, alles und jedes öffentlich zu fördern. Standortimage wie Profil haben immer etwas damit zu tun, dass sich Standorte unterscheiden. Wenn es überall dasselbe gibt, läuft eine Förderung in Leere, die sich das Ziel setzt, hervorzuheben. Wenn alle alles haben, dann entstehen weder Differenz noch Profil.
Kulturwirtschaft als Retter in der Not
In den letzten 20 Jahren wurde noch eine weitere Diskussion über Kultur und Wirtschaft begonnen. Nicht mehr nach einer Legitimation öffentlicher Kulturausgaben wird gesucht, sondern privatwirtschaftliche kulturelle Aktivität wird als ein Branchenfeld gesehen, das ökonomischen Mehrwert erzeugt.
Erstmals wurde das Feld Anfang der neunziger Jahre in mehreren Kulturwirtschaftsberichten für das Land Nordrhein-Westfalen vermessen. Konsequent wurde als »Kulturwirtschaft« ein Sektor identifiziert, der der Wirtschaft zugehört, also in der Logik der Wirtschaft arbeitet, der aber – das ist der Kern der Definition – mit künstlerischer Tätigkeit verknüpft ist. Von derselben Intention getrieben war 2003 der erste Kulturwirtschaftsbericht der Schweiz. Im selben Jahr erschien der erste österreichische Kulturwirtschaftsbericht mit einer breiteren Definition der Branche. Seitdem ist die Berichterstattung stark gewachsen, statistisch getragene Untersuchungen gibt es inzwischen für Staaten, Länder und Städte.
Zur Kulturwirtschaft gehören Geschäfte, die von einer künstlerischen Leistung ausgelöst werden oder die auf Künstler für ihre Tätigkeit angewiesen sind. Autoren brauchen den Buchmarkt, der Buchmarkt braucht Autoren. Während Autoren aus inhaltlichem Antrieb, oft eigensinnig und nicht aus Gewinnmotiven heraus schreiben, werden Verleger, Drucker und Buchbinder, werden Buchhändler an den Arbeitsergebnissen der Autoren ansetzen, um aus dem Rohstoff Autorentext ihr Geschäft zu entwickeln und es durch Gewinn in Gang halten. Musik ruft einen Musikmarkt hervor, in dem Konzerte wie Konserven entstehen. Der Kunstmarkt braucht Künstler, von dort kommen frische Kunstwerke als Handelsware. Aber der Kunstmarkt hat auch seine Besonderheiten: Er beschäftigt sich gern auch mit sich selbst und dem Recycling alter Waren.
Öffentlich getragene Projekte und Institutionen gehören nicht zur Kulturwirtschaft. Der Definition nach geht es um Betriebe, die der Logik der ökonomischen Wertschöpfung folgen. Die ersten Ergebnisse einer Vermessung der Kulturwirtschaft überraschten: Der Sektor erwies sich als weitaus größer als erwartet. Künstlerische Produktion erschien in einem neuen Licht. Durch sie werden Geschäfte angestoßen, es wird Geld verdient. Die Kulturwirtschaft ist nach Umsatz und Beschäftigung um ein Mehrfaches größer als der Bereich, den öffentliche Förderung und öffentliche Institutionen bearbeiten. In der Schweiz beträgt das Verhältnis etwa acht zu eins. In Deutschland sind es je nach Definition auch mehr als dies. Ähnliches gilt für Österreich.
Richtig Fahrt nahm die Diskussion über Kulturwirtschaft in Deutschland auf, nachdem sie ab 2002 mit den Thesen des US -Ökonomen Richard Florida 69 angereichert wurde. Florida meint, dass der wirtschaftliche Erfolg urbaner Regionen vor allem davon abhängt, ob es ihnen gelingt, dort Mitglieder einer
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