Der Kulturinfarkt
Unternehmensberater, Hauptsache, sie sind in irgendeiner Form »kreativ«).
Weiteres wäre gegen Florida vorzubringen. Ob tatsächlich Betriebe dorthin gehen, wo viele akademisch gebildete Menschen leben, ob diese Arbeitskräfte eher dorthin gehen, wo attraktive Arbeitsplätze zu haben sind, ob andere Faktoren die Wanderungsbewegungen von Betrieben und Arbeitskräften bewegen, das ist alles nicht so eindeutig und eindimensional, wie es bei Florida erscheint. So viel jedenfalls weiß man aus der wirtschaftsgeografischen Forschung: Wirtschaftsbetriebe machen ihre Standortentscheidungen in der Regel nicht davon abhängig, wo Künstler arbeiten und leben. Eher umgekehrt: Nicht selten bieten Künstler ihre Arbeitskraft dort an, wo sie attraktive Nebenjobs finden, um die künstlerische Tätigkeit querzufinanzieren. Und wo ein hohes kommunales Steueraufkommen auch in den Kulturbetrieb sickert.
Aus den angelsächsischen Ländern wurde eine weitere Unschärfe in die Debatte um Kulturwirtschaft getragen. Während in Deutschland – wie auch in den Kulturwirtschaftsberichten der Schweiz – der Begriff der »Kulturwirtschaft« um den Künstlerberuf herum konstruiert wurde, wurden dort der »creative economy« weitere Berufe zugeordnet, denen ein besonders hoher Anteil von Kreativität zuerkannt wird. Der Kreativwirtschaft werden so Felder wie Softwareentwicklung, Telekommunikation oder die Werbebranche zugerechnet. Diese Zuordnungen führen zu der schwierigen Frage, ob es tatsächlich Branchen oder Arbeitsfelder gibt, in denen Kreativität ganz besonders zum Einsatz kommt. Schumpeter hatte das anders gesehen. Weiter lässt sich fragen: Wie weit soll denn das Feld der Kulturwirtschaft gefasst werden? Sein großes Gewicht sowie das behauptete Wachstum könnten ja auch bloß die Folge einer erweiterten Definition sein. Die Frage, was Kreativität ist und ob sie richtig beschrieben wird, wenn sie allein in einigen Branchen- oder Berufsbezügen gesehen wird, muss hier nicht vertieft werden.
Kulturwirtschaft wie Kreativwirtschaft sind Gedankendinge, Konstrukte. Konkreter sind die spezifischen Branchen. Unter Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Darstellenden Künsten, Designwirtschaft, Architekturmarkt oder Pressemarkt kann man sich mehr vorstellen als unter »der« Kreativwirtschaft. Auch was Software oder Werbung als Wirtschaftszweige sind und tun, entzieht sich nicht dem Vorstellungsvermögen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen öffentlicher Kulturförderung und der Kulturwirtschaft? Er existiert sicherlich, aber er ist schwer zu fassen. Am ehesten noch, wenn man die kunstnahen Bereiche untersucht. In der Musikwirtschaft wird Geld verdient, aber es lässt sich im Detail nur schwer verfolgen, wie weit öffentlich geförderte Klänge dieses Geschäft fördern oder wie weit öffentliche Aktivitäten die Handlungsräume der Musikwirtschaft einschränken. Zwar können im Buchmarkt Gewinne gemacht werden, aber in welchem Zusammenhang stehen sie mit der öffentlichen Förderung von Autoren? So mag es sein, dass eine Versorgung mit künstlerischem Rohstoff, der mithilfe öffentlicher Förderung entsteht, die Kulturwirtschaft antreibt, es mag aber auch sein, dass öffentliche Kulturförderung Bereiche an die Wand drückt, die auch erwerbswirtschaftlich funktionieren würden. Dass sie also die Wertschöpfung reduziert. Wenn man mehr wissen will, muss man die kulturwirtschaftlichen Branchen einzeln darauf untersuchen, wie, wo und in welchem Ausmaß öffentliches Handeln in ihre Wertschöpfung eingreift – einen solchen Standard haben die Untersuchungen zur Kulturwirtschaft bisher nur ausnahmsweise.
Dass inzwischen nicht selten eine Förderung der Kulturwirtschaft als nächste Stufe der Kulturpolitik gesehen wird, lässt hingegen darauf schließen, dass Kulturpolitik sich für die kulturelle Nachfrage zu interessieren beginnt. Und dass sie einen Paradigmenwechsel vorbereitet. Denn wer Wirtschaft sagt, selbst in der Zusammensetzung mit Kultur, sagt auch Markt. Im Markt ist Erfolg genauso möglich wie Untergang. Es mag sein, dass Kulturpolitik staatlich finanziertes kulturelles Handeln näher an die privaten Modelle heranführen will. Mehr kulturelles Unternehmertum könnte dann einer der Auswege sein, das System durchzulüften, die geförderten Einrichtungen aus ihrer sedativen Lebensweise zu erlösen. Nur Zürich leistet sich den Luxus, mitten in der Krise ein Kulturleitbild zu verabschieden, das
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