Der Kunstreiter
aufschieben, und die Abreise war schon auf den nächsten Morgen angesetzt. Die Vorbereitungen dazu nahmen auch jetzt seine Zeit in Anspruch, und damit beschäftigt, suchte er das unangenehme Gefühl zu bewältigen, das ihn immer und immer wieder beschleichen wollte, wenn er an den letzten Auftritt mit dem alten Trunkenbold zurückdachte.
Der Verwalter war indessen in das Dorf hinabgegangen und erfuhr dort bald Mühlers letzte Erlebnisse in Schildheim. Ohne daß ereine Frage danach tat, erzählte ihm der Wirt, wie der »Schwiegervater vom Gute« heute nachmittag bei ihm vier Flaschen Wein mit dem faulen Tobias getrunken und – nicht bezahlt habe und dann mit einem Bündel in der Hand den Weg am See entlang marschiert sei. Er wollte dabei vom Verwalter wissen, ob der Schwiegervater wiederkomme oder nicht; der Verwalter beruhigte ihn indes darüber, denn seines Wissens hatte Mühler allerdings nur eine kleine Reise vor, von der er vielleicht schon in zwei oder drei Tagen zurück wäre. Vom Krug aus ging der Verwalter, ehe er nach dem Gute zurückkehrte, am Bache hinauf. Er hatte dort in der letzten Woche Weiden schneiden lassen und wollte sehen, was da noch zu tun wäre. Der Bach war durch die letzte milde Witterung ziemlich angeschwollen. Das Wetter änderte sich aber; seit Mittag wurde die Luft auffällig kälter, und einzelne Flocken aus dem grauen Himmel verkündeten einen Schneefall für die Nacht. Der Verwalter schritt rasch am Bache entlang, ohne sich länger als irgend nötig an den einzelnen Stellen aufzuhalten, und dort angelangt, wo das schmale Wasser eine scharfe Biegung nach Norden machte, wollte er sich eben wenden und in gerader Richtung wieder nach dem Gute hinaufschneiden, als seine Aufmerksamkeit auf einen in seinem Wege liegenden Gegenstand gelenkt wurde. Es war ein alter Hut, der dort, unter einem Weidenbaume auf der Wiese, etwa drei oder vier Schritte vom Wasser entfernt, lag. Er blieb einen Augenblick dabei stehen und drehte ihn mit dem Fuße um; die fragliche Kopfbedeckung sah aber so schäbig und abgenutzt aus, daß er sich nicht zu wundern brauchte, wenn den der Eigentümer in Ekel fortgeworfen hatte – eher war es ein Rätsel, daß er ihn noch so lange getragen. Die Schneeflocken wurden auch schärfer, der Wind setzte mit größerer Härte ein, und seine Hände in die Taschen schiebend, eilte er, so rasch er konnte, den schützenden Gebäuden des Gutes wieder zu.
In der Nacht fiel ein tüchtiger Schnee. Der Förster schickte allerdings einen Boten aufs Gut, daß er zwei Füchse stecken habe und ob der Herr Baron nicht herauskommen wolle, diese zu schießen; Georg aber hatte seine Abreise auf neun Uhr festgestellt, und der Schlitten hielt zur bestimmten Zeit vor der Tür.
Georg hatte mit seiner Frau schon am vorigen Abend seine Reise und die Zeit seiner Abwesenheit besprochen. Als er an diesem Morgen von ihr Abschied nehmen wollte, war sie gerade mit Ankleiden beschäftigt und ließ sich nicht darin stören. Georg ging zu Josefinenhinüber, um ihr Adieu zu sagen. Die Kleine saß bei ihrer Erzieherin am Schreibtisch und arbeitete fleißig. Der Vater nickte ihr freundlich zu und trat dann, während Mademoiselle Adele aufstand, näher zum Tische.
»Es tut mir leid, daß ich Sie störe, Mademoiselle! bitte, behalten Sie Ihren Platz – aber ich werde drei oder vier Tage in Geschäften abwesend sein und wollte nur Josefinen Adieu sagen. Leider bin ich gerade in der letzten Zeit gar zu sehr beschäftigt gewesen, mich viel mit ihr abzugeben. Sind Sie noch zufrieden mit ihr?«
»Recht sehr zufrieden,« antwortete das junge Mädchen aus vollem Herzen. »Josefine ist ein braves Kind und macht mir viel, viel Freude; ich darf das wohl in ihrem Beisein sagen.«
»Sie glauben nicht, Mademoiselle, wie große Freude Sie mir mit dieser Nachricht machen, und dir, Josefine, danke ich besonders dafür. Leid hat es mir bis jetzt auch immer getan, daß du so allein, ohne Spielgefährtin, besonders den langen Winter hier verbringen mußtest, und ich will dir jetzt zeigen, daß ich auch dankbar für dein gutes Betragen sein kann. Sie werden bald noch einen Zögling bekommen, Mademoiselle. Der Geistliche in Sostheim ist gestorben. Sie wissen, er war schon ein Jahr Witwer und hat ein Töchterchen in Josefinens Alter hinterlassen. Das arme kleine Wesen ist dort von der Gemeinde einer Familie zugeteilt worden, in der es sich nicht wohlfühlt, sich nicht wohlfühlen kann. Ich habe deshalb beschlossen, es zu mir zu
Weitere Kostenlose Bücher