Der Kunstreiter
gleicher Zeit kam von der andern Seite die Briefpost durch das Dorf, hielt am Wirtshause, um die Briefe für Dorf und Gut abzugeben, und rasselte dann weiter. Ein Knecht aber, der um diese Zeit immer vom Gute herabgeschickt wurde, etwa eingetroffene Briefe und Zeitungen in Empfang zu nehmen, tat die erhaltenen Papiere in einen hierzu bestimmten ledernen Beutel und wollte damit ungesäumt nach Hause zurückkehren, als er von jemand angerufen wurde. Er drehte sich nach der Stimme um und sah den Schulzen mit dem Müller und noch zwei anderen Bauern, die ihm winkten und dann zu ihm herankamen.
»Hör' einmal, Gottlieb,« sagte der erstere, als sie nahe genug waren, sich verständlich zu machen, »was habt Ihr denn gestern auf dem Gute mit dem Tobias angefangen?«
»Wir?« lachte der Knecht, »an die Luft haben wir ihn gesetzt, wie es uns der gnädige Herr geheißen?«
»Wieso, an die Luft gesetzt?«
»Nun, vors Tor gebracht und laufen lassen. Er war so betrunken, daß er kaum stehen konnte. Hat er uns verklagt?«
»Nein, das nicht,« sagte der Schulze, »habt Ihr ihm weiter nichts zuleide getan?«
»Nicht das geringste,« erwiderte der Knecht. »Er schimpfte wohl und räsonierte in einem fort; aber was ist mit einem besoffenen Menschen anzufangen?«
»Und was machte er, als Ihr ihn vor das Tor setztet?«
»Erst schimpfte er und wollte wieder zurück, dann aber, als wir ihm drohten, drehte er sich um und torkelte seiner Wege. Wir haben uns nicht weiter um ihn bekümmert.«
»Und der Baron auch nicht?«
»Der Baron?«
»Hat sich auch nicht weiter um ihn bekümmert?«
»Wird sich der mit dem betrunkenen Menschen einlassen!« lachte der Knecht. »Was ist denn aber los, daß ihr alle miteinander so lange Gesichter schneidet?«
»Weiter nichts,« sagte der Müller, »als daß mein Schwiegervater, seit ihr ihn oben aus dem Gute gejagt habt, nicht wieder, weder hier im Dorfe noch irgendwo anders, gesehen worden ist.«
»Und er wäre die Nacht nicht nach Hause gekommen?«
»Mit keinem Schritt.«
»Und im Wirtshause ist er auch nicht gewesen?«
»Nein.«
»Dann ist er sicher unter irgendeinem Baume umgefallen und eingeschlafen,« meinte der Knecht, »aber jedenfalls hätte ihn doch heute morgen die Kälte wecken müssen.«
»Wenn ihn die Kälte die Nacht über nicht umgebracht hat,« sagte der Schulze. »Weshalb habt Ihr ihn denn vom Hofe gejagt?«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte Gottlieb, »er ist wohl unverschämt gegen den gnädigen Herrn gewesen, denn er war oben bei ihm im Zimmer und hatte ein schrecklich großes Maul, wie uns der Baron hinaufrief; der war aber ganz ruhig und befahl uns nur, wir sollten den Besoffenen vors Tor bringen und nicht wieder ins Gut lassen.«
»Na, Müller,« sagte der Schulze, wenn ihm wirklich etwas Menschliches begegnet wäre, könntet Ihr Euch trösten – und das Dorf auch. Freude hätten wir an dem Tobias nicht mehr erlebt.«
»Das ist wohl wahr,« sagte der Müller, »und die Haare würde ich mir deshalb nicht ausraufen. Es bleibt aber doch immer meiner Frau Vater, und daß mir die Leute später nachsagten – wenn's auch nicht wahr wäre – daß ich ihn draußen auf der Straße hätte liegen und umkommen lassen, das könnt Ihr ebenfalls glauben.«
»Dann beruft Euch nur auf uns hier im Dorfe, Müller,« beruhigte ihn der Schulze. »Ihr habt an dem faulen Strick getan, was kein anderer getan hätte und braucht Euch wahrhaftig keine Gewissensbisse darüber zu machen. Jetzt wollen wir indessen einmal die Gemeindeaufbieten und sehen, ob wir nicht herausbekommen können, was aus ihm geworden ist. Weit kann er auf keinen Fall gestern mehr gelaufen sein, und ist ihm ein Unglück passiert, so müssen wir ihn ganz in der Nähe finden.«
Die Gemeinde wurde zusammengerufen; als Sammelplatz gab es natürlich keinen andern und passenderen Ort als den Krug, und hier füllte sich indessen auch die Gaststube mehr und mehr mit eintreffenden und eifrig debattierenden Bauern. Sobald die Gemeinde vollzählig war, wollte man ausrücken. Der hatte aber noch dies, jener das zu Hause zu tun; andere waren auf dem Felde draußen und mußten erst hereingeholt werden, und die Leute im Wirtshause konnten indessen ihre Zeit nicht besser verwerten, als daß sie Bier tranken und ihre Pfeifen in Brand hielten.
Das Gespräch drehte sich dabei natürlich ausschließlich um den »faulen Tobias«, sein früheres und jetziges Leben, seine guten und seine bösen Seiten, und man kam, trotz allen seinen
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