Der Kunstreiter
einen lächelnden Blick miteinander wechselnd, flogen eifriger, geschäftiger umher als je.
Der Fürst legte endlich seine Serviette auf den Teller und richtete sich empor. Die Tafel war aufgehoben, und in den zunächstliegenden Gemächern wurde der Kaffee umhergereicht. Dort sammelten sich die Gäste in verschiedenen Gruppen, während Seine Königliche Hoheit von einer zur andern ging, ein paar freundliche Worte bald an den, bald an jenen richtend. Graf Geyerstein hatte sich indes umsonst bemüht, in die Nähe der ebenfalls anwesenden Komtesse Melanie zu gelangen. Zuerst war die Komtesse von der Fürstin selber in Anspruch genommen, und dann fand er sie zwischen zwei alte verwitterte Staatsdamen so hineingezwängt, daß ihr von keiner Seite beizukommen war. Auch schien sie das gar nicht zu wünschen, denn sie unterhielt sich auf das Lebhafteste mit den beiden von Bändern und Schmuck bedeckten Überresten eines vergangenen Jahrhunderts und hatte für weiter niemanden im Saale Augen.An einem bei Fenster fand er endlich den Kabinettssekretär des Fürsten in lebhaftem Gespräch mit zwei jungen Damen wie ein paar anderen Herren, und der Name des Kunstreiters Bertrand fesselte hier zuerst seine Aufmerksamkeit. Er trat näher und traf die kleine Gruppe in lebendiger Debatte, weniger über die Leistungen des Mannes und seiner Gesellschaft – als seine Familienverhältnisse. In der Stadt hatte sich nämlich das Gerücht verbreitet, Madame Georgine stamme aus einer altadligen französischen Familie und sei von dem kühnen Reiter und Seiltänzer unter den abenteuerlichsten Verhältnissen aus einem Kloster entführt und zum Kunstritt erzogen worden. Über die Sache selber schien man auch vollständig einig, nur über den früheren Namen der Dame schwankten die Meinungen, und alles wandte sich in vollem Eifer gegen den jungen Grafen, als dieser das ganze Gerücht bezweifeln wollte. War er doch im Begriff, sich an der ganzen Gesellschaft zu versündigen, indem er ihr den pikantesten Stoff zur Konversation damit zu rauben gedachte. Wie die Debatte gerade am lebendigsten war, näherte sich der Fürst mit einem jungen Fremden, der sich seit einigen Tagen in *** aufhielt, der Gruppe, die sich augenblicklich gegen ihn öffnete.
»Ah, lieber Geyerstein,« wandte er sich zugleich gegen den Rittmeister, »was für einen Kampf führen Sie denn hier? Aber ich weiß nicht einmal, ob sich die Herren schon kennen? – Rittmeister Graf von Geyerstein – Graf Selikoff aus St. Petersburg. – Doch um was handelte hier Ihr Streit, wenn man fragen darf?«
Die beiden jungen Leute verbeugten sich gegeneinander, und Fräulein von Zahbern, die eine der Damen, antwortete: »Um kein Geheimnis. Königliche Hoheit, und doch auch wieder ein Geheimnis, nämlich um die Abstammung der Frau des Kunstreiters.«
»Ah, apropos, Lerchenstein, wie steht denn die Sache mit jenem Monsieur Bertrand?« wandte sich der Fürst an seinen Geheimsekretär. »Haben Sie mir nicht gestern morgen etwas darüber vorgelegt?«
»Allerdings, Königliche Hoheit. Es betraf die verweigerte Erlaubnis des Magistrats, daß der etwas tollkühne Mensch zwischen den beiden Türmen der Katharinenkirche ein Seil aufspanne, um darauf seine Künste zu zeigen.«
»Ganz recht. Jetzt erinnere ich mich. Ja, was soll man da tun? Der Magistrat wird wohl seine Gründe gehabt haben, es ihm zu verbieten, wenn ihm auch eigentlich kein Mensch verwehren kann, seinen Hals zu wagen. Meinen Sie nicht, Geyerstein?«»Ich meine, Königliche Hoheit, daß es ein wohltätiges Verbot war. Es heißt an Gott gefrevelt, seine Glieder in solcher Weise der fast gewissen Gefahr preiszugeben.«
»Das nehmen Sie aber doch wohl zu ernst, lieber Geyerstein,« sagte der Fürst, »denn wenn Sie so weit gehen wollen, dürfte ich das Seiltanzen überhaupt nicht gestatten. Ich meinesteils täte das auch mit dem größten Vergnügen, aber wo die Grenze nachher ziehen zwischen gefährlichen und weniger gefährlichen Künsten?«
Der Rittmeister schwieg, denn er erinnerte sich, daß er fast dieselben Einwendungen, mit beinahe den nämlichen Worten, vor ganz kurzer Zeit der Komtesse Melanie gemacht. Fräulein von Zahbern aber rief: »Der Herr Rittmeister ist ein durchaus grausamer Mensch, er will uns jede Unterhaltung rauben.«
»Und würden Sie, mein gnädiges Fräulein, wirklich eine Unterhaltung darin finden,« entgegnete der Rittmeister, »einen Menschen zwischen zwei Türmen auf einem dünnen Seile spazieren gehen zu
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