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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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hereinsteckte.
    »Wie du siehst, ja,« erwiderte gleichgültig die Frau, »dort unten geht er eben über die Straße.«
    »War gerade noch so ein Mosjö da, der dich sprechen wollte.«
    »So? – wer?«
    »Der geschniegelte und geleckte Bengel mit dem Schnurrbart wie ein Malerpinsel. Silbermann oder Silberfranz – was weiß ich's, wie er heißt! Ich habe ihn gleich an der Treppe abgefertigt.«
    »Das war recht – ich mag den faden Menschen überhaupt nicht leiden.«
    »Und wer war der?«
    »Ein Graf.«
    »Und wollte?«
    »Georg sprechen.«
    »Nur Georg?«
    »Nur Georg.«
    »Pferdehändler!« brummte der Alte und schleppte seine Jacke wieder zum Fenster, an dem er den alten Platz einnahm, um mürrisch und finster wie vorher an dem scheckigen, schmutzigen Kleidungsstück weiter zu nähen. Kein Wort mehr wurde zwischen den beiden gewechselt, die jedes mit den eigenen Gedanken vollständig beschäftigt schienen. Da schallten Schritte vom Vorsaal herein.
    »Georg,« sagte die Frau aufhorchend.
    »Wird mich wieder zur Probe haben wollen,« knurrte der Alte, »aber verdammt will ich sein, wenn ich jetzt hinübergehe. Heute die Rackerei zweimal ist vollständig genug.«
    Die Tür ging auf, und Monsieur Bertrand betrat in der Tat das Zimmer, ohne die beiden aber nur im mindesten zu beachten. Selbst ohne Gruß kam er herein, warf seinen Hut auf einen Stuhl und schritt dann eine Weile, die Arme fest ineinander geschlagen, in dem kleinen Raume auf und ab. Der Alte warf über die Brille einen forschenden Blick nach ihm hin, nahm aber weiter keine Notiz von ihm, und nur Georgine sagte endlich: »Ist etwas vorgefallen, daß du so verdrießlich bist?«
    »Vorgefallen? – nein,« erwiderte der Mann, ohne seinen Spaziergang zu unterbrechen.
    »Ist die Erlaubnis zu deinem Turmseil noch nicht gekommen?«
    »Nein.«
    »Und wär' auch kein Schade, wenn sie ganz ausbliebe!« brummte der Alte. »Mit dem verwünschten Seiltanzen nimmt es noch einmal ein böses Ende. Und wenn Ihr's noch nötig hättet! Aber die Reiterei ist weit ehrenvoller und bringt hundertmal mehr Geld ein, als der halsbrechende Lauf.«
    »Aber er macht Aufsehen!« rief Georgine rasch. »Wenn sich die Kunde verbreitet, daß Georg gewagt hat, was vor ihm keiner wagte, strömt das Volk von nah und fern herzu, um ihn zu sehen.«
    »Sie denken gar nicht daran,« sagte der Alte finster, »und du solltest gerade die letzte sein, die dem Tollkopf auch noch zuredete, sein Leben an solch einen Quark zu wagen. Was wird aus dir, aus uns allen, wenn er den Hals bricht oder selbst nur zum Krüppel stürzt?«
    »Und geht er nicht so sicher auf dem Seil, wie hier auf ebenem Boden?« rief die Frau.
    »Papperlapapp! mir mußt du so etwas nicht sagen,« meinte aber kopfschüttelnd der Hanswurst. »Mein Bruder, der lange Franz, mit dem ich meine tollsten Jahre verlebt, war ein so tüchtiger Seiltänzer wie nur einer, und wie er zuletzt glaubte, er könnt's ganz allein, und höher und immer höher stieg, passierte ihm doch einmal etwas Menschliches. Ob er den Krampf bekam, ob er schwindelig wurde – er hat's keinem Menschen mehr erzählt, aber ich seh' ihn noch vor mir, wie er da oben haushoch über die staunende Menschenmenge hinlief, daß wir unten, gegen den grauen Himmel hin, nicht einmal mehr das Seil erkennen konnten – ich sehe ihn noch vor mir, wie er auf einmal schwankte, wie ihm die Stange aus der Hand fiel, und ein Schrei von den Tausenden – ein furchtbarer Schrei zu ihm hinaufgellte – dann kam ein dumpfer Schlag – und als ich wieder scheu den Kopf hob, lag ein häßlicher, blutiger Klumpen vor mir – der lange Franz. – Seit dem Tage hab' ich kein Seil wieder betreten.«
    Bertrand war vor dem Alten stehengeblieben, aber sein Blick schweifte über ihn hin nach seinem Weibe, das halb abgewandt von ihm, die rechte Hand auf das Fensterbrett gestützt, den Kopf unwillig und langsam hin und her wiegend, am Fenster lehnte.
    »Du hättest etwas Gescheiteres tun können,« sagte sie jetzt, während der Vater, in der Erinnerung noch zusammenschaudernd, schwieg, »als ihm gerade heute die Geschichte zu erzählen. Daß etwas derartiges passieren kann, weiß ich auch, aber eben die Möglichkeit desselben übt den Reiz auf die Zuschauer, gründet den Ruf des kühnen Läufers. Wäre keine Gefahr dabei, wer würde sich die Mühe geben, auch nur zuzusehen?«
    »Du hast gut reden,« sagte der Alte finster.
    »Und glaubst du, ich fürchte die Gefahr?« rief rasch und heftig die Frau,

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