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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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kann es mir denken, und Sie sind vollkommen entschuldigt. – Aber kommen Sie, Herr Graf,« redete sie in demselben Augenblicke den jungen Russen an, »ich versprach Ihnen vorhin die russische Volkshymne – Luise soll sie uns spielen – es ist ein Genuß, sie zu hören.«
    »Es ist auch eine der schönsten Melodien, die es gibt,« sagte der Graf, die letzten Worte falsch verstehend, »und Sie machen mich unendlich glücklich, Komtesse, daß Sie solches Interesse an unserer Nationalhymne nehmen.«
    Melanie verneigte sich leicht gegen den Grafen Geyerstein, legte dann ihre Hand in den ihr gebotenen Arm des jungen Russen und schritt an seiner Seite dem andern Salon zu, in dem der Flügel aufgeschlagen stand.
    »Und hatte ich unrecht?« flüsterte Fräulein von Zahbern in des Rittmeisters Ohr, indem ihr Blick mit einer ihr sonst nicht unschönes Gesicht fast entstellenden Mischung von Zorn und Eifersucht das Paar verfolgte.
    »Lassen Sie uns die Nationalhymne mit anhören, mein gnädiges Fräulein,« sagte Graf Geyerstein statt aller Antwort, indem er ihr den Arm bot und die erbitterte Schöne, ohne ihr Zelt zu einer weiteren Bemerkung zu geben, den Vorangegangenen nachführte.

8.
    An demselben Abend, an welchem beim Kriegsminister von Ralphen die Soiree gehalten wurde, und während dort in den hell erleuchtetenund wohltätig durchwärmten, von Blumen duftenden, von sanften Melodien durchströmten Räumen fröhliche Menschen gesellig beieinander saßen, bereitete sich eine andere, von dieser weit verschiedene Szene in der zweiten Etage der Rosengasse vor.
    Die Vorstellung im Zirkus war beendet, und mit ihr die letzte, der Gesellschaft für diese Messe gestattete. Draußen auf dem Platze, als die letzten Menschen das hohe, runde Bretterhaus kaum verlassen hatten, arbeiteten, hämmerten und pochten schon wetterbraune Gestalten in Hemdsärmeln und Schurzfellen, um die Bude wieder abzuschlagen und sie so rasch als möglich von dem Platze, den sie mit ihrer bretternen Masse entstellte, zu entfernen.
    Auch oben in dem Zimmer Georg Bertrands sah es aus, als ob der Eigentümer des Gemaches im Begriff sei abzureisen, denn wild und unordentlich lagen alle möglichen Kostümstücke bunt zerstreut über Stuhl- und Sofalehnen, ja selbst über den Boden hin. Handschuhe, Hüte, Reitpeitschen, ja selbst andere Teile einer Damengarderobe bedeckten zum Teil den großen runden Tisch, der in der Mitte der Stube stand, und waren nur zur Hälfte zurück- und zusammengeschoben, um dem durch die Hausmagd herausgebrachten Abendbrot für drei Personen notdürftigen Raum zu geben. Die Luft in dem ziemlich geräumigen, aber sehr niedern Gemache war dabei schwül und dumpfig, und kaltgewordener Tabaksqualm, wie der warme Fettgeruch verschiedener Fleischspeisen diente nicht dazu, sie zu verbessern. Auf dem Sofa lag Demoiselle Josefine, Georginens siebenjährige Tochter. Das Kind war von der für seine Jahre übermäßigen Anstrengung erschöpft eingeschlafen, und der Schein der Lampe fiel, ohne die Schläferin zu stören, grell auf das bleiche, aber stark geschminkte, abgespannte Gesicht des Kindes.
    Georg Bertrand war noch nicht nach Hause gekommen. Er mußte darauf sehen, daß vor allen Dingen seine Pferde gut gewartet, abgerieben und gefüttert wurden, ehe er selber an seine eigene Verpflegung denken konnte. Fremden Menschen, und noch dazu leichtsinnigem Volke, wie seinen Künstlern, durfte er das, wie er recht gut wußte, nicht überlassen. Georgine dagegen hatte eben das Zimmer betreten, aber ihr leichtes, luftiges Kostüm, mit dem sie in der letzten Piece als Elfe die Zuschauer entzückt, noch nicht abgelegt. Nur ein langer, leichter grauer Mantel, den sie beim Nachhausegehen darüber geworfen, schützte sie gegen die kalte Nachtluft, und selbst hier, in dem fast schwülen Zimmer, hatte sie ihn nochnicht abgelegt, denn ihre Seele beschäftigte anderes als die Veränderung ihrer Toilette. Unruhig und rasch schritt sie in dem breiten, niedern Gemache auf und ab. Die nackten Arme fest auf der unruhig wogenden Brust verschränkt, das Haupt gesenkt, auf dem die noch nicht abgelegten Blumen und Federn herüber und hinüber wehten, maß sie den engen Raum wieder und wieder und unterbrach ihre Schritte nicht einmal, als ihr Vater endlich, ebenfalls noch in seinem Hanswurstkostüm, ins Zimmer trat.
    »Ist Georg noch nicht zu Hause?« fragte der Alte, indem er seine Kappe auf dem Kopfe rückte und sich mit der Hand durch die langen, schon dünnen und

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