Der Kunstreiter
Zeiten sogar manche Partie Schach, das sie meisterhaft spielte, mit ihr gezogen, und an Melanies Seite stundenlang ihrem seelenvollen Vortrage auf dem Piano gelauscht. Das alles nahm sie still und dankbar hin, zog sich nach solchen Abenden aber immer um so viel scheuer in sich selbst zurück. Dergleichen Abende waren aber auch in der letzten Zeit viel seltener geworden, ja hatten sogar in der letzten Woche ganz aufgehört, und vielleicht dachte Luise, als ihr Auge vorhin so ernst und fast traurig auf dem Grafen ruhte, jener Zeit – war er ihr doch indessen fast fremd geworden.
Und Graf Geyerstein? – er kam sich selber hier fast wie ein Fremder vor. – War es Melanies verändertes Betragen, über das er sich nicht täuschen konnte? – war es des Bruders Schicksal, das in der letzten Zeit seine Seele so erfüllt, ihn fast die ganze übrige Welt darüber vergessen zu lassen? – war es der junge fremde Russe, der, kaum hier eingefühlt, sich mit einer Zuversicht und Sicherheitin diesen Räumen bewegte, als ob er selber schon seit Jahren des Hauses intimster Freund gewesen? – Er wußte es nicht – nur wie ein dunkler, unheimlicher Schatten lag es auf seinem Herzen, und die hell erleuchteten, menschenbelebten Gemächer kamen ihm tot, öde und einsam vor, als ob er hier allein gestanden hätte. Da tönte plötzlich ein helles, reines Lachen an sein Ohr. – Das war Melanies Stimme; unter Tausenden hätte er sie ja herausgekannt. Er wandte rasch den Kopf dorthin – der fremde Graf mußte ihr gerade etwas unendlich Komisches erzählt haben, denn ihr Antlitz strahlte vor Laune und Übermut.
»Herr Graf,« flüsterte in diesem Augenblick eine leise Stimme an seiner Seite, und Luise von Mechern suchte ihn durch die Anrede auf den Lakaien aufmerksam zu machen, der mit dem Teeservice auf dem silbernen Teller bis jetzt vergebens bemüht gewesen war, dem Rittmeister die Erfrischung zu präsentieren. Der Graf sah aber nichts weiter als Melanies halb von ihm abgedrehtes glückliches Gesicht. Nur einen flüchtigen Blick warf er herum, der Anrede zu, und wandte sich, ohne das junge Mädchen, das schüchtern neben ihm stand, auch nur zu bemerken, mit einem einfachen »Ich danke« wieder ab.
Der Lakai balancierte seinen Präsentierteller nicht ohne Geschicklichkeit weiter, zwischen den verschiedenen beweglichen Gruppen durch, und Luise selber schrak schüchtern zurück. Rosalie aber kam jetzt mit ihrer Mappe herbeigehüpft, und den Grafen am Arm nehmend, der sich ihr nicht entziehen durfte, führte sie ihn in ein kleines, etwas abgesondertes Seitenkabinett, dort ungestört seinen Beifall über die wirklich mit vielem Talent und fast nur unter der Leitung Luisens ausgeführten Skizzen einzuernten. Hier sollten sie aber nicht lange ungestört bleiben, denn Fräulein von Zahbern hatte den Grafen schon vorher nicht aus den Augen verloren und folgte ihnen bald, sich anscheinend den ausgebreiteten Zeichnungen Rosaliens mit größtem Interesse widmend. In der Tat aber suchte sie nur die Durchsicht derselben zu beschleunigen, und als die Komtesse, von der Anwesenheit der jungen Dame eben nicht erfreut, ihre Arbeiten wieder zusammenlegte und forttrug, ergriff Fräulein von Zahbern des Grafen Arm und flüsterte: »Aber sagen Sie mir nur um Gottes willen, Herr Graf, wollen Sie denn den Kampf ganz ohne Schwertstreich aufgeben?«
»Den Kampf, mein gnädiges Fräulein?«
»Ah, stellen Sie sich nicht, als ob Sie nicht verständen, was ichmeine,« rief die Dame rasch, »wir haben hier auch keine Zeit durch Aufklärungen zu versäumen. Sie müssen doch sehen, daß jener Russe Sturm auf Melanies Herz läuft.«
»Und glauben Sie nicht, daß die Festung stark genug sein wird, sich zu halten?« sagte der Rittmeister lächelnd, während aber doch ein ganz eigenes Weh sein Herz durchzuckte.
»Nein!« rief das Fräulein rasch und entschieden, wenn auch noch immer mit unterdrückter Stimme. »Sie sind entweder erschrecklich leichtsinnig oder erschrecklich – zuversichtlich, wenn Sie die Gefahr nicht sehen wollen, die Ihnen droht.«
»Aber woher auf einmal diese Teilnahme für mich, mein gnädiges Fräulein?« sagte der junge Mann mit viel größerer Ruhe, als Fräulein von Zahbern wohl erwartet haben mochte.
»Aus Patriotismus. Ich hasse die Russen, und diesen Russen. ..«
»Vor allen anderen?«
»Nein – ärgern Sie mich nicht – diesem Russen gönne ich eben Melanie nicht. Die ganze Stadt weiß ja doch, daß Sie für sie
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