Der Kunstreiter
Schildheim regelmäßig besuchte und zugleich Privatstunden bekam; denn der große Bursche war in allem, was Lernen betraf, noch hinter den kleinsten Knaben weit zurück! Ein junger Mann wurde dazu, trotzdem daß sich Georgine im Anfange dagegen sträubte, ins Haus genommen und ihm die Aufsicht über den Knaben besonders übergeben. Die Erzieherin, die Wolf von Geyerstein für Josefine besorgte, erwies sich ebenfalls vortrefflich, und in einigen Jahren hoffte Georg die Kinder so weit gebracht zu haben, daß sie sich, ihren Altersgenossen gegenüber, nicht mehr zu schämen brauchten.
Selbst Georgine schien sich in das neue Leben zu finden, und besonders waren es in der ersten Zeit die neuen Bekanntschaften, die sie fesselten. Auf zwei Nachbargütern in der Nähe lebten nämlich zwei sehr liebe Familien, ein ganz jung verheiratetes Paar aus dem Preußischen und ein alter mecklenburgischer Major, der hier sehr bedeutende Besitzungen mit besonders herrlichen Waldungen liegen hatte. Dieser brachte den größten Teil des Jahres auf seinem Gute zu, sah sehr viel Besuch bei sich und machte ein großes Haus, in dem die landesübliche Gastfreundschaft im reichsten Maße herrschte – daß ihm die lebendige, bildschöne neue Nachbarin dabei nur willkommen war, läßt sich denken. Natürlich wurde sie dort bald von einer Schar müßiger junger Herren umschwärmt, und so gleichgültig Georg in früherer Zeit und unter anderen Verhältnissen Ähnliches gesehen und, als eben in den Verhältnissen liegend, geduldet hatte, so überkam ihn jetzt dabei ein unbehagliches, demütigendes Gefühl – ein Mittelding zwischen erwachendem Stolz und Eifersucht, das er nicht niederzukämpfen vermochte. Er machte Georginen deshalb freundliche, indes leere Vorstellungen, denn sie lachte ihn aus und fragte ihn, ob er glaube, daß sie hier zwischen den Bauern ebenfalls verbauern solle. Daß sie sich amüsiere, wo ihr die Gelegenheit dazu überhaupt nur so spärlich geboten werde, dürfe er ihr nicht verdenken, und außerdem sei sie essich selber und »ihrem Rang« schuldig, den Ton, der nun einmal in der vornehmen Welt herrsche, anzunehmen.
Eine andere Sorge machte dem Manne der Alte, der, jetzt mit gar keiner Beschäftigung, da er sich durchaus nicht zu einer geregelten Arbeit entschließen wollte, der Flasche zusprach, wo er dazu gelangen konnte – und leider fand er dafür nur zu häufig Gelegenheit. Allerdings hielt er sich dabei stets auf seinem Zimmer, aber Georg fürchtete mit Recht, daß er sich einmal wirklich betrinken und dann den Dienstleuten nicht allein ein Ärgernis geben, sondern auch verraten könne, zu welcher Klasse des Volkes er eigentlich gehöre. War es ihm doch nicht entgangen, daß der alte Verwalter, wenn er sich unbemerkt glaubte, schon manchmal heimlich den Kopf über das etwas wunderliche und rohe Benehmen des Mannes geschüttelt hatte, und welches Licht mußte eine solche Entdeckung dann auf seine Frau, auf ihn selber zurückwerfen! Die einzige Beschäftigung, zu der sich Mühler verstehen wollte, war die, daß er sich einen aus dem Dorfe geholten Spitz abrichtete, und stundenlang saß er mit diesem zusammen eingeschlossen, ihm allerlei tolle Kunststücke beizubringen. Den Hund nannte er Hanswurst, und er kam nicht mehr von seiner Seite.
Georg sah das alles, ohne irgendeine Änderung herbeiführen zu können, und fühlte jetzt erst in seiner ganzen Schwere den Fluch seines früheren tollen Lebens, das ihn, den Edelmann, unter die Hefe des Volkes geworfen hatte. Jetzt verdammte es ihn dazu, nicht allein mit solch rohem Menschen, wie dieser Mühler, zusammen zu leben und auszuhalten, nein, es zwang ihn sogar, ihn als Verwandten anzuerkennen und in seiner eigenen Familie zu halten. Das war freilich, nicht mehr zu ändern – es mußte ertragen werden und erforderte nur all seine Klugheit und Wachsamkeit, um den fatalen Folgen, die es möglicherweise für seine und der Seinigen Zukunft haben könne, vorzubeugen.
Allerdings sprach er offen mit seiner Frau darüber und machte ihr einmal sogar den Vorschlag, dem Alten irgendeine Heimat entfernt von ihnen zu gründen und ihm – wenn auch mit großen Opfern – dasselbe, was er früher als Gehalt bezogen, als Pension zu sichern. Aber Georgine wollte nichts davon hören – fürchtete sie vielleicht, daß sie durch ein Fortschicken des Vaters die Partei schwächen könne, mit der sie noch immer dem Gatten gegenüberstand?
Der alte Mühler unterstützte sie allerdings nicht
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