Der Kunstreiter
denkst du wohl – wenn du überhaupt je etwas dächtest – das sei ein lebloses, totes Ding, was da steht, und allerdings kann sich's nicht von der Stelle bewegen, es muß am Boden haften, wo unser Herrgott es hingepflanzt hat. Aber in ihm lebts und wirkt und schafft und treibt und wächst, reckt die Arme nach dem Himmel empor, von dort her Licht und Regen zu saugen, und hält sich mit den Wurzeln derb im Boden fest, um vom Winde nur gerüttelt, nicht aber geworfen zu werden. Mehr im Leben tut auch nicht einmal der Mensch, nur auf ein wenig andere, sogar nicht immer so erfolgreiche Art. Der Baum ist aber nicht tot, er lebt –er lebt und atmet wie ein jedes Tier, wenn sich ihm auch die Brust dabei nicht heben kann; aber durch seine Poren zieht er Lebenssaft, zieht Luft und Feuchtigkeit, was er zum Leben braucht, und wird ihm das genommen, muß er sterben. Nimm nur die Axt und hau' in einen Stamm hinein und sieh, ob er nicht blutet, wenn auch sein Blut nicht rot aussieht wie das unsere. Langsam tropft es zu Boden, und wenn die Wunde ausgeblutet hat, vernarbt sie wieder, wie bei dem Menschen. Sieh nur einen gefällten Baum dir an, aber nicht, wie es die meisten Menschen tun, die bei einem solchen Baume immer gleich berechnen, wieviel Klaftern Scheite oder wieviel Ellen Nutzholz er geben kann. Sieh ihn an, wie er als Leiche daliegt, denn es gibt ebensogut Baum- wie Menschenleichen – sieh, wie die Rinde abstirbt, ihre gesunde, frische Farbe verliert und fahl und erdfarben wird und die Blätter welken und dorren, die Zweige eintrocknen – und langsam geht er zur Erde zurück, von der er kam, wie der Mensch, anderen, seinesgleichen, Raum zu geben. Und das ist nur der einzelne Baum, nun aber seht die Masse, seht den Wald, wo einer dem andern die Hand hinüberreicht; seht ihn, wenn er sich abends die Sternendecke über den Kopf zieht und duftet und träumt und leise rauschend der Atem des Herrn durch seine Wipfel fährt; seht ihn, wenn er morgens erwacht, mit rosig verklärtem Gesicht der Sonne entgegenlächelt und all die tausend Sänger hegt und pflegt, die mit der Morgensonne dem Allerhalter ihre Danklieder entgegenwirbeln – seht ihn am Tage, wie er die Arme schützend über die Erde breitet, den heißen Sonnenstrahlen zu wehren, seine Quellen und liebsten Kinder, die Blumen, zu erreichen und auszutrocknen; seht ihn, wie ihm am Abend spät der helle Schweiß von der vielen Anstrengung an der Stirn steht und in Millionen Tropfen von den Blättern funkelt. Seht ihn im Sommer in seiner Kleiderpracht, im Winter, wenn er sich fest eingehüllt hat in seine warmen Schneetücher – seht ihn, wenn ihr wollt, aber er bleibt immer schön und groß und hehr, ein Tempel des Herrn, den er sich selber auferbaut.«
Barthold hätte sich für seine schwärmerischen Gedanken keine unglückseligeren und unpassenderen Zuhörer wählen können, und wenn er ein Jahr danach gesucht hätte, als eben die beiden alten Burschen mit dem Wirt zu Kauf, der mit offenem Munde hinter ihm stand. Auf Tobias' Gesicht lag, solange der alte Mann sprach, ein breites Grinsen, und die rotgeränderten feuchten Augen zwinkerten nur manchmal mit einem verschmitzt sein sollenden Lächeln nach dem»Schwiegervater« hinüber. Mühler seinerseits saß mit fast bis in die Haare hinaufgezogenen Augenbrauen, die Stuhllehne zwischen den Knien und beide Ellbogen darauf gelehnt, dicht vor dem alten Forstwart, und über sein Gesicht zuckte und zerrte es dabei so wunderbar, daß Tobias zuletzt gar nicht mehr auf die Worte hörte, sondern nur ganz erstaunt in die wunderbar veränderliche Physiognomie des »Schwiegervaters« schaute.
»Bravo!« sagte dieser mit seiner heisern Stimme, als Barthold jetzt geendet und wie verklärt durch das Fenster nach seinem lieben Walde hinüberschaute, »bravo, alter Junge, vortrefflich – der Pastor hätt's nicht besser machen können! – Wirt, noch mehr Kümmel, für uns alle, und nicht so in kleinen spitzen Gläsern, sondern die ganze Flasche, wir schenken uns selber ein und machen Kreidestriche.«
»Ich danke Ihnen,« sagte der Forstwart ruhig, »ich trinke höchstens morgens ein einziges Glas.«
»Auf einem Beine kann kein Mensch stehen!« rief Tobias.
»Gott sei Dank, daß ich den Branntwein noch nicht brauche, um darauf zu stehen,« meinte der alte Forstwart, »ein nüchterner Kopf und ein volles Herz ist mein Wahlspruch, und – andere Leute führen vielleicht besser, wenn es auch der ihrige wäre. Das aber ist anderer
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