Der Kunstreiter
dummen Streiche. Georg läßt nicht mit sich spaßen.«
»Ob er's tut ober nicht, was kümmert's mich!« trotzte der Knabe. »Wenn du Lust hast, Onkel, seinen Knecht und gehorsamen Diener zu machen und dafür das Gnadenbrot zu nehmen, gut – du bist alt genug, um zu wissen, was dir zusagt, ich aber vertrage es nicht. Er hat gesagt, ich wisse, was mir gut sei, und ich will ihm dieses Mal wenigstens beweisen, daß er sich nicht geirrt.«
»Was hast du vor?« sagte der alte Mann besorgt, als Karl seine Mütze aufgriff, »du darfst nicht fort.«
»Darf ich nicht?« lachte der junge Bursche, der ihm unter den Händen fort und zur Tür glitt, »und wer will mich hindern?« und mit diesen Worten schon verschwand er im Gange draußen.
»Karl!« rief ihm der alte Mühler besorgt nach; Karl aber war nicht mehr zurückzurufen, und mit dem Gute und dessen Ausgängen genau bekannt, lief er in die untere Etage hinab, sprang von da in den Garten, um Georg in diesem Augenblicke nicht zu begegnen, und gelangte ungesehen, wenigstens ungehindert, in das Dorf hinab. Dort brauchte er auch nicht lange nach seinen früheren Kameraden zu suchen. Ein Volkshaufen, der sich vor einem Bauernhause schreiend und lachend umherdrängte, verriet ihm augenblicklich die Stelle, wo die drei »Künstler« eine rohe Schar von Zuschauern entzückten und unterhielten, hätte selbst nicht Hentz schon wieder auf der Spitze der Leiter, den Kopf nach unten, die Beine in die Luft gestreckt, hoch über die ihn umgebenden Dörfler hinausgeragt.
Karl hatte auch vom Fenster aus ganz recht gesehen. Es waren in der Tat jene drei jungen Burschen, die früher zu ihrer Gesellschaft gehörten und bei der Auflösung derselben brotlos in die Welt geworfen wurden. Wie sie indessen ihr Leben gefristet, zeigte sich deutlich in dem gegenwärtigen Possenspiel auf offener Straße, und Karl schämte sich fast, sie hier vor allen Leuten anzureden. Aber sprechen wollte und mußte er mit ihnen – er wußte überdies, daß die Mittagszeit sie zwingen würde, ihre Künste einzustellen, denn hier und daentfernten sich schon einzelne der bisherigen Zuschauer, um ihren eigenen Wohnungen und gedeckten Tischen zuzueilen. Karl hatte sich darin auch nicht geirrt. Die Glocke des kleinen Kirchturmes hob kaum aus, ihre zwölfmal anzuschlagen, als die Zuschauer, die bis jetzt einen festen Ring um das Künstlertrifolium geschlossen, nach allen Richtungen hin auseinander stoben, und ohne daß einer von ihnen daran gedacht hätte, die doch jedenfalls ebenso hungrigen Equilibristen einzuladen, ja ohne selbst das geringste für den gehabten Genuß zu zahlen, waren sie im nächsten Augenblicke spurlos verschwunden.
»Alle Teufel!« rief der eine von ihnen, Hentz, der diesen plötzlichen Rückzug aus der verkehrten Vogelperspektive von der Leiter aus mit angesehen, indem er mit einem geschickten Satz herunter und auf die Füße kam, »wie die Canaillen laufen, und du, Müllheimer, läßt sie auch fort, ohne einzusammeln!«
»Da sammle du einmal,« brummte der Angeredete, »wenn bei derartigem Gesindel, noch dazu an einem Sonntage, die Freßglocke schlägt! Aber nach Tische will ich sie schon wieder zusammenkriegen, und dann sollen sie doppelt dafür bluten. – Wetter – wer ist denn das, der da drüben steht? – das Gesicht kommt mir sehr bekannt vor.«
»He, Roter, wie geht's?«
»Charles! bei allen sieben Todsünden!« rief der bei seinem Spottnamen Angeredete erstaunt aus, »alle Hagel, Junge, wo kommt du auf einmal wie aus den Wolken hergeschneit?«
»Davon nachher,« sagte Karl, dem nicht daran lag, hier auf der Straße ein langes Gespräch mit ihnen anzuknüpfen. »Kommt ins Wirtshaus nach – ich werde dort für euch etwas zu essen bestellen« – und ohne eine Antwort abzuwarten, bog er in die nach dem Stern führende Gasse ein und überließ es seinen früheren Gefährten, ihm, der willkommenen Einladung nach, so rasch mit ihren verschiedenen Utensilien zu folgen, wie sie eben konnten.
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Es war dreiviertel auf ein Uhr – pünktlich um ein Uhr wurde Sonntags auf dem Gute gegessen – als Karl, ebenso heimlich, wie er sich entfernt, durch das in den Garten führende Saalfenster mit Hilfe einer in der Nähe lehnenden Stange zurückstieg und seines Onkels Zimmer betrat.
»Na, da ist er – gottlob!« sagte dieser. »Ich fürchtete wahrhaftig, er hätte dumme Streiche gemacht. Es ist gleich eins, Junge.«
Karls Blick haftete auf Georginen, die in der Mitte der Stube, die
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