Der Kunstreiter
steinerne Stiege – jetzt aber gar nicht mehr so behaglich und zuversichtlich wie unten in frischer Luft – hinauf. Er war jedoch einmal da, wie er sich wieder und wieder vorerzählte – umkehren half nichts mehr, und deshalb die Zähne fest aufeinander beißend, kletterte er die wenigen Stufen vollends hinan, hielt einen Augenblick an der Tür, um Atem zu schöpfen, und klopfte dann an.
»Herein!« tönte Georgs tiefe und ruhige Stimme, und Tobias wäre vielleicht in diesem Augenblick doch noch wieder umgekehrt, aber es war zu spät; seine Hand lag auf dem Drücker, und im nächsten Augenblick sah er sich dem Herrn selber gegenüber.
»Was wollt Ihr?« fragte ihn mit eben nicht freundlicher Stimme Georg, denn er sah mit einem Blicke, in welchem Zustande sich der alte Trunkenbold befand.
»Guten Abend,« erwiderte Tobias vor allen Dingen auf die Anrede, nahm seinen Hut ab und drehte ihn zwischen den Händen.
»Guten Abend – was soll's?«
»Ich wollte nur...«
»Nun?«
»Ich wollte Sie nur bitten, Herr Baron,« stotterte der Alte.
»Tobias,« fertigte ihn da Georg ab, der ihn vom Dorfe her kannte, »Ihr seid heute wieder in einem Zustande, bei dem Ihr Euch viel lieber hättet zu Bette legen sollen, als zu mir herauf zu kommen. Überdies hasse ich jede Bettelei, noch dazu von einem Burschen wie Ihr, an den jeder Schillung rettungslos weggeworfen wäre. – Marsch! packt Euch, und macht, daß Ihr nach Hause kommt. – Ihrriecht bis hierher nach Spirituosen. Wird's bald, oder soll ich Euch fortschaffen lassen?«
Wäre Georg freundlich oder auch nur ernsthöflich mit ihm gewesen, Tobias hätte nie den Mut gehabt, ein Wort über die Lippen zu bringen. Die doppelten Vorwürfe des Trinkens und Bettelns aber stachelten ihm die verworrenen Geisteskräfte zum Widerstande auf, und seinen alten Hut in den Händen zusammenrollend, sagte er mit einem höhnischen Blick auf den Gutsherrn: »Halten zur Gnaden, Herr von Geyfeln – oder wie Sie sonst heißen mögen, was – ich trinke, bezahle ich, und das geht niemanden etwas an – und zum Betteln – bin ich ebenfalls – nicht hierher gekommen, daß Sie es nur wissen! – Im Gegenteil wollte ich Ihnen einen Gefallen tun – daß Sie wüßten, woran Sie – woran Sie wären, und nicht etwa dächten, wir wären alle so dumm und glaubten die Geschichte mit dem – Baron...«
Georg horchte hoch auf, denn die Worte des Trunkenen, mit wie schwerer Zunge er sie auch herausbrachte, verrieten mehr, als sie jetzt noch eingestehen mochten. »Was ist das, was aus dir spricht, mein Bursche?« sagte er deshalb ruhig, aber mit wirklich mühsamer Fassung, indem er auf ihn zuging, »was willst du von mir?«
»Aha!« lachte der Alte still vor sich hin, »werden wir zahm? Ja, ich hab' es mir wohl gedacht, mein Täubchen. Der alte Tobias ist auch nicht so auf den Kopf gefallen, wie manche Leute ihn wohl gern wollten glauben machen – der Sternenwirt zum Beispiel – und dieses Mal an die richtige Schmiede gegangen.«
»Was willst du von mir, und weshalb bist du heute hierher gekommen?« wiederholte Georg noch einmal seine Frage; denn ein dunkler Verdacht stieg über die Absicht des Trunkenen in ihm auf.
»Na?« sagte Tobias, der noch immer nicht trunken genug war, die veränderte Anrede unbemerkt zu lassen, »geduzt haben wir einander freilich noch nicht, so viel ich weiß, aber das schadet nichts – was nicht ist, kann noch werden, und der Mühler, der Schwiegervater, war auch ein sauberer Mensch und wir nannten uns doch du miteinander. Also, lieber Bruder, hahaha – lieber Bruder, ich wollte dir nur sagen, daß wir – ne, nicht wir – die im Dorfe drunten sind zu dumm – die wissen noch nichts – aber daß ich, der alte Tobias, herausgekriegt habe, wer du eigentlich bist – weißt du wohl?« – Er versuchte dabei eine Art von Pantomime zu machen, wie er sie vielleicht einmal von Kunstreitern gesehen haben mochte, indem er sichauf das eine Bein balancierte und das andere aushob, den Kopf etwas auf die Seite neigte und seine beiden Arme, mit dem zerknitterten Hut in der einen, ausstreckte. Dieser gewagten Position war er aber doch in solchem Augenblicke nicht gewachsen. Er verlor die Balance und wäre auf den Boden geschlagen, wenn er nicht noch glücklich die Tischecke erwischt hätte, um sich daran zu halten.
In Georgs Armen zuckte es, den frechen, widerlichen Burschen aus der Tür zu werfen, aber er bezwang sich trotzdem. Er wollte jetzt erst wissen, was er eigentlich im
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