Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)

seine Kaffeetasse und nahm zwei Zigarren aus einer kleinen Kiste auf seinem Schreibtisch. Eine bot er Burton an. Als die Zigarren angezündet waren, warf Trounce das Schwefelholz in den Kamin, ohne sich darum zu kümmern, eine neue Kerze anzuzünden. Er lehnte sich zurück und betrachtete den Mann, der ihm gegenübersaß.
    ›Burton hat etwas … etwas Ungezähmtes an sich‹, überlegte er. Der Mann sah aus wie ein Preisboxer, mit seinem düsteren, zwingendem Blick, dem kantigen Gesicht und dem hervorstehenden Kinn, um das ein harter Zug lag.
    ›Meine Güte‹, dachte er, ›wenn dieser Mann so gewalttätig wäre, wie er aussieht, was für Verbrechen würde er dann begehen!‹
    Und dennoch, trotz all der rohen Gewalt und der unterdrückten Wut, die Burton ausstrahlte, hatte er etwas an sich, das Trounce gefiel. Instinktiv wusste er, dass der berühmte Entdecker ihm immer die ungeschminkte Wahrheit sagen würde.
    »Wie auch immer«, fuhr der Detective Inspector fort, »nachden Ereignissen jenes Tages wurde ich für einen Monat vom Dienst suspendiert und hatte keine Einsicht in die darauffolgende Untersuchung. Wie Sie zweifellos wissen, war der Mann …«
    »Einen Moment, Detective Inspector«, unterbrach ihn Burton mit erhobener Hand. »Das Attentat liegt etwa zwanzig Jahre zurück, und wie Sie war ich damals erst neunzehn. Tatsächlich war ich gerade dabei, mich an der Oxford University einzuschreiben. Ich war nicht wie Sie am Ort des Geschehens, noch nicht einmal im selben Land, und die Nachricht vom Tode Viktorias habe ich damals zunächst nur durch Gerüchte erfahren. Die Untersuchung und die Berichterstattung in den Zeitungen haben sich über mehrere Wochen erstreckt. Ich kann nicht von mir behaupten, sie alle gelesen zu haben – und was das betrifft, ist mein Gedächtnis auch nicht das Beste. Also mutmaßen Sie bitte nicht über meinen Wissensstand, es sei denn, Sie nehmen an, ich wüsste gar nichts.«
    Trounce nickte knapp und anerkennend mit dem Kopf.
    »Verstanden, Captain. Der Mann, der den Attentäter nach dem ersten Schuss, der die Königin verfehlte, gepackt hatte, wurde nie gefunden. Die Zeitungen tauften ihn den ›Rätselhaften Helden‹. Ich glaube noch immer, dass er mit dem Schützen verwandt war – ihre äußerliche Ähnlichkeit war verblüffend –, aber unglücklicherweise haben meine Vorgesetzten meinen Eindrücken jenes Tages nicht viel Beachtung geschenkt. Nur wenige andere Zeugen hatten die Ähnlichkeit bemerkt, zudem hatte man alle Verwandten des Attentäters aufgespürt und befragt. Der gesuchte Mann war nicht darunter.
    Was den Schützen selbst betrifft: Edward Oxford wurde 1833 als eines von sieben Geschwistern in Birmingham geboren. Sein Vater war ein gewalttätiger Alkoholiker, der seine Frau und Kinder fast täglich verprügelte. Man hat ihn schließlich für wahnsinnig erklärt und in ein Irrenhaus eingewiesen, wo er bei einer Art spastischem Anfall an seiner eigenen Zunge erstickte und starb. Der Großvater war, nebenbei bemerkt, auch ein Irrer.
    Seine Mutter Hannah trennte sich von ihrem Mann, als Edward sieben Jahre alt war. Sie zog mit dem Jungen und einer seiner Schwestern nach Lambeth, wo er, nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, anfing als Barkellner in verschiedenen Pubs zu arbeiten, einschließlich dem Hat And Feathers, an der Ecke der Green Dragon Alley.«
    »Aha! Also besteht eine Verbindung zwischen Oxford und Spring Heeled Jack – abgesehen von dem Attentat, meine ich«, rief Burton mit leuchtenden Augen aus.
    »Ja. Zur Zeit des Falles um Lucy Scales arbeitete Oxford in jenem Pub, er stand sogar hinter der Bar, als um die Ecke die unheilvolle Begegnung stattfand. Als er von dem Übergriff hörte, brach er anscheinend in hysterisches Gelächter aus und musste von einem Arzt ruhiggestellt werden.«
    »Interessant. Bitte, fahren Sie fort, Inspector.«
    »Oxford blieb bei seiner Mutter und seiner Schwester in der Wohnung am West Place, West Square, Lambeth. 1840 arbeitete er als Kellner im The Hog In The Pound in der Oxford Street, aber im Mai jenes Jahres kündigte er. Am 4. kaufte er für eine Summe von vier Pfund zwei Pistolen von einem alten Schulfreund, und während der nächsten vier Wochen übte er an verschiedenen Schießständen in ganz London. Es waren diese Waffen, mit denen er im darauffolgenden Monat Königin Viktoria erschoss.«
    »Sein Motiv?«, erkundigte sich Burton trocken.
    »In seinem Zimmer fand man Unterlagen, die er verfasst hatte, um zu