Der kurze Sommer der Anarchie
seine Stelle trat Negrin, ein entschiedener Gegner jeglicher Kollektivierung und ein bewährter Champion des Privateigentums. Im Juni 1937 wurde der Vorstand der PO UM verhaftet; die Hexenjagd auf die »Trotzkisten« (von denen übrigens Trockij selbst wenig wissen wollte) gipfelte darin, daß ihr Führer Andres Nin von Agenten des NKWD ermordet wurde. Im August verbot ein Runderlaß der Regierung jegliche Kritik an der Sowjetunion; der neue Staatssicherheitsdienst SIM (Servicio de Investigacion Militär), in dem die Kommunistische Partei sämtliche Schlüsselstellungen hielt, errichtete eigene Gefängnisse und Konzentrationslager, die sich rasch mit Anarchisten und » Ultra-Linken« füllten. Im selben Monat August ordnete die Zentralregierung die Auflösung des Verteidigungsrates von Aragon an; das war das letzte revolutionäre Machtorgan, das auf spanischem Boden übriggeblieben war. Joaquin Ascaso, sein Vorsitzender, wurde verhaftet; die kommunistische 11. Division ging gegen die aragonesischen Dorfkomitees vor und löste die landwirtschaftlichen Produktionskollektive auf. Im September 1937 wurde das Gebäude des CNT- FAI-Verteidigungsausschusses von Regierungstruppen mit Kanonen und Panzern angegriffen und erobert. Im Laufe des Jahres 1938 kehrten die Großgrundbesitzer zurück und verlangten die Rückerstattung ihrer Güter. Die Kollektivierung wurde rückgängig gemacht, die Arbeiterkontrolle in den katalanischen Betrieben aufgehoben. Betriebsleitungen und Aufsichtspersonal nahmen ihre alten Posten wieder ein. An die ausländischen Aktionäre wurden von neuem Dividenden ausgezahlt. Der Sold der einfachen Soldaten wurde von 10 auf 7 Peseten gesenkt, die Löhnung der Offiziere auf 25 - 100 Peseten erhöht. Rangabzeichen, Grußpflicht und Drill kehrten wieder; für die Beleidigung von Vorgesetzten wurde die Todesstrafe eingeführt. Die Militanten von POUM und CNT-FAI saßen in den Gefängnissen. Die Revolution war liquidiert, die bürgerliche Staatsgewalt wiederhergestellt, der Bürgerkrieg verloren. In den letzten Märztagen des Jahres 1939 floh die Regierung der Spanischen Republik nach Frankreich. » Was ist nun das Resultat unsrer ganzen Untersuchung? Die Bakunisten waren gezwungen, sobald sie einer ernsthaften revolutionären Lage gegenüberstanden, ihr ganzes bisheriges Programm über Bord zu werfen. Zuerst opferten sie die Lehre von der Pflicht der politischen und besonders der Wahlenthaltung. Dann folgte die Anarchie, die Abschaffung des Staats; statt den Staat abzuschaffen, versuchten sie vielmehr eine Anzahl neuer, kleiner Staaten herzustellen. Dann ließen sie den Grundsatz fallen, daß die Arbeiter sich an keiner Revolution beteiligen dürften, die nicht die sofortige vollständige Emanzipation des Proletariats zum Zweck habe, und beteiligten sich an einer eingestandenermaßen rein bürgerlichen Bewegung. Endlich schlugen sie ihrem kaum erst proklamierten Glaubenssatz ins Gesicht: daß die Errichtung einer revolutionären Regierung nur eine neue Prellerei und ein neuer Verrat an der Arbeiterklasse sei — indem sie ganz gemütlich in den Regierungsausschüssen der einzelnen Städte figurierten, und zwar fast überall als ohnmächtige, von den Bourgeois überstimmte und politisch exploitierte Minderzahl.
Das ultrarevolutionäre Geschrei der Bakunisten verwirklichte sich also, sobald es zur Tat kam, entweder in Abwiegelei oder in von vornherein aussichtslosen Aufständen oder in dem Anschluß an eine bürgerliche Partei, die die Arbeiter schmählichst politisch ausbeutete und sie obendrein mit Fußtritten behandelte.«
Dieses Urteil aus dem Jahre 1873 stammt von Friedrich Engels. Es läuft auf eine schonungslose Kritik an den Anarchisten hinaus. Aber seine eigentliche Ironie liegt darin, daß die »bürgerliche Partei«, von der Engels spricht, im spanischen Bürgerkrieg keine andere ab die Kommunistische gewesen ist.
Die Verteidigung von Madrid
Ein Besuch in der Hauptstadt
Im Herbst 1936 arbeitete ich als Madrider Korrespondent der Solidaridad Obrera. Mitte September kam Durruti zum ersten Mal während des Bürgerkrieges nach Madrid. Mein Bruder Eduardo begleitete ihn. Gleich nach ihrer Ankunft am Abend besuchten sie mich im Büro der Zeitung an der Alcalä. Durruti trug seine typische Ledermütze, die später nach ihm genannt wurde, eine Gürteljacke, ebenfalls aus Leder, und einen Revolver. Ich sah mich zum ersten Mal dem berühmten »Gorilla« der Anarchisten gegenüber. Er war groß, kräftig
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