Der kurze Sommer der Anarchie
Anarchisten auszuüben. Das war erst nach Durrutis Tod möglich, als der russische Einfluß in Spanien zugenommen hatte. In den Interviews, die Buenaventura Durruti kurz vor seinem Tod der anarchistischen Veteranin Emma Goldman, einer Russin, gab, machte er seine Position völlig klar. Auf die Frage, ob er nicht allzu vertrauensselig sei, antwortete er: »Wenn die spanischen Arbeiter zwischen unseren freiheitlichen Methoden und der Sorte von Kommunismus zu wählen haben, die Sie von Rußland her kennen, werden sie sicher die richtige Wahl treffen - da bin ich ganz unbesorgt.« Emma Goldman fragte ihn, was geschehen würde, wenn die Kommunisten so stark wären, daß den Arbeitern keine Wahl mehr bliebe. Darauf Durruti: »Mit den Kommunisten werden wir ohne weiteres fertig werden, wenn wir erst einmal Franco aus dem Weg geräumt haben — und wenn es nötig werden sollte, dann werden wir auch vorher mit ihnen fertig.« Vielleicht wäre es dazu gekommen, wenn er am Leben geblieben wäre.
Albert Meltzer
Woran ich nie geglaubt habe, und wogegen ich mich ganz energisch wende, das ist die Vermutung, Durrutis eigene Wache habe ihn hinterrücks erschossen. Das ist eine infame Lüge. Keiner von seinen Leuten wäre eines solchen Verbrechens fähig gewesen. Später hieß es auch hie und da, die Kommunisten seien es gewesen. Ich sage Ihnen ganz aufrichtig, auch an diese Version glaube ich nicht. Daß die Anarchisten Durruti umgebracht hätten, diese Lüge ist von einigen Journalisten und Historikern aufgebracht worden, allesamt Marionetten der Kommunisten. Die Kommunisten haben damals alles versucht, um die anarchistische Bewegung zu diskreditieren. Andere haben diese Lügen wiederholt. Manche Leute löffeln eben alles, was man ihnen hinstellt.
Federica Montseny 1
Der Augenzeuge
Das ist jetzt schon fünfunddreißig Jahre her, und trotzdem weiß ich noch genau nicht nur das Datum, sondern auch die Uhrzeit und alle Einzelheiten.
Wir waren in der Straße Miguel Angel Nummer 27 stationiert, dort war Durrutis Hauptquartier. Es war das Stadtpalais des Herzogs von Sotomayor, dem Neffen des Königs Alfons XIII. Am Nachmittag, es war der 19. November, kam ein Melder von der Front. Das Klinikum war in die Hand des Feindes gefallen. Wir stiegen sofort in den Wagen. Das war um vier Uhr nachmittags, zehn vor oder zehn nach vier. Wir fuhren direkt zur Front, so nah wie möglich an das Krankenhaus, um die Lage zu prüfen. Vorn am Steuer saß der Chauffeur Julio, neben ihm, wie immer, Durruti; er konnte den Rücksitz nicht leiden. Auf dem Rücksitz saßen Manzana, Bonillo und ich.
Wir fuhren durch die Stadt und erreichten den Moncloa-Platz über die Rosales-Promenade, gleich vor der Ecke der Straße Andres Beyano. Wir hörten die Kugeln pfeifen. Wir hielten an, es war nicht weiterzukommen. Der Wagen bot ein zu gutes Ziel für die feindlichen Schützen. Also hielt Julio an und stieg aus, um die Lage zu erkunden. Durruti will ihm folgen, er nimmt sein Schnellfeuergewehr, einen Naranjero, macht die Tür auf und schlägt mit dem Gewehr an das Trittbrett. Das Ding geht los, der Schuß trifft ihn mitten in die Brust, ein glatter Durchschuß, aus.
Ich war schon im Aussteigen begriffen, nur einer war noch im Wagen. Wir heben Durruti auf, eine Unmenge Blut, aber er war bei vollem Bewußtsein, das Blut kam ihm aus der Brust, wir versuchten es abzuwischen, nichts zu machen, wir legten ihn in den Wagen, stiegen ein und fuhren los, so schnell wir konnten, ins Hotel Ritz, wo das Lazarett der Milizen war.
Wir übergaben Durruti den Ärzten; sie haben alles versucht, ihn zu retten. Er war noch bis um zwei Uhr früh bei vollem Bewußtsein. Ich weiß nicht, ob er noch etwas gesagt hat, ich war nicht mehr dabei. Aber ich weiß, daß er gegen vier Uhr früh gestorben ist, elf oder zwölf Stunden nach dem Unglück. Durrutis Tod hat einen solchen Eindruck auf uns gemacht, wir konnten es selber kaum glauben, und wir waren doch d’e Augenzeugen. Man hat nicht gewagt, die Nachricht bekanntzugeben, niemand wollte die Wahrheit sagen.
Deshalb hieß es in dem Kommunique auch, er sei an einer feindlichen Kugel gestorben. Das war ohne weiteres denkbar, nur daß es nicht so gewesen ist. Dann tauchten natürlich die Gerüchte auf, die einen sagten, die Kommunisten wären schuld, die andern, wir, seine Wache hätten ihn umgebracht, wieder andere schoben es auf die Fünfte Kolonne, und so weiter und so fort. Auf die Wahrheit ist niemand gekommen, daß es ein Unfall war,
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