Der kurze Sommer der Anarchie
Ergriffenheit aus. Der Leichnam wurde von den Kameraden in das Lokal des Nationalkomitees der CNT getragen und dort aufgebahrt.
Am 21. November morgens vier Uhr wurde der Sarg von dort in ein Auto gebracht, und ein großer Zug von Automobilen begleitete die Überführung nach Valencia. In den Städten, die der Zug passierte, wurde er von der Bevölkerung erwartet. In Chiva wurde der Transport empfangen von den Ministern Garcia Oliver, Alvarez del Vayo, Just, Esplä und Giral. In allen Dörfern manifestierte die Bevölkerung mit schwarz-roten Fahnen und brachte Kränze an den Sarg. In Valencia legten die Vertreter des levantinischen Regionalkomitees der CNT Kränze und Blumen in den Wagen, der die sterblichen Reste des toten Kameraden barg. Auch in der Region Levante und in Katalonien brachten sie in allen Dörfern dem Toten einen letzten Gruß. Kurz vor ein Uhr morgens kam am 22. November der Sarg im Hause der CNT-FAI zu Barcelona an. Unter Blumen und schwarz-roten Fahnen wurde er im Vestibül des Hauses aufgebahrt. Über ihm und auf der Fahne, die ihn bedeckte, standen die Lettern, die Durrutis Lebensinhalt gewesen und für die er gefallen war: CNT-AIT-FAI.
Durruti 6
Die Beerdigung fand in Barcelona statt. Der Tag war bewölkt und trübe. Die Stadt verfiel in eine Art von kollektiver Hysterie. Die Menschen knieten auf der Straße nieder, als der Leichenzug mit einer Ehrenwache von Anarchisten im Kampfanzug vorbeikam. Sie weinten. Eine halbe Million Menschen war auf den Straßen versammelt. Alle hatten feuchte Augen. Durruti war für Barcelona das Symbol für den anarchistischen Gedanken, und es schien unglaublich, daß er tot war.
Eine seltsame Stille lag an jenem Tag über der Stadt. Die schwarz-roten Fahnen hingen von den Masten. Die Sonne zeigte sich nicht. Einen lautloseren, feierlicheren oder traurigeren Tag habe ich nie erlebt.
Jaume Miravitlles 2
Das riesige Haus der ehemaligen spanischen Unternehmerverbände, jetzt »Casa de la CNT-FAI«, Sitz des katalonischen Regionalkomitees der CNT, liegt in der Via Layetana, dem breiten modernen Straßenzug, der den Hafen Barcelonas mit der Neustadt verbindet. Mit diesem Hause stand Durruti die letzten Monate seines Lebens in innigstem Kontakt, am Radio dieses Hauses hielt er seine letzte Ansprache an das spanische Volk, durch diese Straße wurde sein Sarg nach dem Montjuich getragen.Auf Antrag der Lokalföderation Barcelona der CNT heißt diese Straße jetzt Avenida de Buenaventura Durruti.
Durruti 6
Als er nach Madrid gegangen ist, habe ich ihn noch zum Flugplatz gebracht. Das war das letzte Mal, daß ich ihn sah. Ich habe ihn jeden Tag in Madrid angerufen; eines Abends haben sie mir gesagt, er sei nicht da. Später habe ich erfahren, daß er damals schon tot war.
Ich war nicht dort, ich kann Ihnen nichts darüber sagen.
Aber natürlich konnte man den Leuten nicht erzählen, daß es ein Unfall war, schon weil niemand daran geglaubt hätte. Also hieß es, er sei an der Front gefallen. Ein Gefallener mehr, das ist alles. Ein Mann wie Durruti stirbt eben nicht in seinem Bett. Ja, ich habe meine Zweifel gehabt. Aber schließlich waren es seine Freunde, die mir gesagt haben, daß es ein Unglücksfall war, Garria Oliver und Aurelio Fernandez. Es waren seine Kampfgefährten. Warum hätten sie lügen sollen? Also bleibt es dabei. Es kommt nicht mehr darauf an. Es ist nicht zu ändern.
Emilienne Morin
Achte Glosse. Über das Altern der Revolution
Fünfunddreißig Jahre sind seit der Niederlage der spanischen Revolution vergangen. Wer ihre Spur verfolgen will, von einem Tag zum andern, muß die Solidaridad Obrera lesen, zu deutsch Arbeiter-Solidarität, einst die größte Tageszeitung von Barcelona. In einem Keller an der Amsterdamer Herengracht wird er ihre vergilbten Blätter finden, in großen staubigen Mappen; und in den vier Stockwerken darüber alles, was über die Spanische Revolution geschrieben, gedruckt und gebunden worden ist. Das Institut für Internationale Sozialgeschichte bewahrt ihre Siege und Niederlagen auf Briefe und Flugblätter, Dekrete und Zeugenberichte, brüchige Konvolute: eine melancholische Unsterblichkeit. Aber nicht nur tote Buchstaben lassen sich hier finden, sondern auch die Spuren der Überlebenden: Lebensläufe, Erinnerungen, Adressen. Hinweise, die weit führen: in die traurigen Vorstädte von Mexico City, in entlegene Dörfer der französischen Provinz, in Pariser Mansarden, Hinterhöfe in den Arbeitervierteln von Barcelona,
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