Der kurze Sommer der Anarchie
Schreckensherrschaft aufgerichtet. Als die Nachricht von der Ermordung ihres Häuptlings Durruti durch Madrider Kommunisten bekannt wurde, sei von den Anarchisten eine Art Bartholomäusnacht veranstaltet worden.
Die furchtbaren Ausschreitungen seien schließlich sogar der Leitung der anarchistischen Verbände zu arg (!!) gewesen, so daß sie in dringenden Aufrufen die Einstellung des blutigen Terrors gefordert habe.
Völkischer Beobachter
Telegramm des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Spaniens
Mit tiefem Schmerz nehmen wir Kenntnis von dem glorreichen Tod unseres gemeinsamen Genossen Durruti, dieses entsagungsvollen Sohnes der Arbeiterklasse, dieses begeisterten und energischen Verteidigers der Einheit des Proletariats. Das verbrecherische Blei der faschistischen Banditen hat uns ein junges, aber an Opfern reiches Leben entrissen. Einiger denn je in der Verteidigung Madrids, bis zur Ausrottung der faschistischen Banden, die unser Land mit Blut beflecken! Für den Einheitskampf an allen Fronten Spaniens! Rache für unsere Helden! Für den Triumph von Volks-Spanien!
Jose Diaz
Solidaridad Obrera
Später schickte mir Durrutis Witwe - oder war es das Zentralkomitee der CNT? — für eine Ausstellung zur Erinnerung an Durruti das Hemd, das er am Tag seines Todes trug. Ich sah mir das Einschußloch an; übrigens zog ich auch einen Experten hinzu. Wir kamen zu dem Schluß, daß der Schuß ganz aus der Nähe abgefeuert worden sein mußte, denn das Gewebe des Hemdes zeigte deutliche Brand- und Pulverspuren. Nun kannten wir die Mentalität der Anarchisten recht gut. Wir wußten, daß Durruti in Madrid nicht mehr der alte Guerrillero war; er war zu einem regelrechten Militär geworden. Wir wußten auch, daß er rücksichtslos gegen pflichtvergessene Truppenführer der Anarchisten durchgegriffen hatte. Er hat sogar einige davon erschießen lassen. So kamen wir damals zu dem Schluß, daß es vielleicht ein Racheakt gewesen war.
Jaume Miravitlles 1
Ein Jahr nach Durrutis Tod wurde auf der Plaza de Cataluna eine Ausstellung zu Ehren der heroischen Verteidiger von Madrid eröffnet. Unter anderm war dort das Hemd ausgestellt, das Durruti zur Zeit seines Todes getragen hatte. Es lag in einem Glaskasten. Die Leute drängten sich, um das Loch, das die Kugel in den Stoff gebrannt hatte, genau zu betrachten. Ich hielt mich im selben Raum auf, als ich plötzlich jemanden sagen hörte, es sei undenkbar, daß dieses Loch von einem Schützen aus sechshundert Meter Entfernung herrühren könne. Am selben Abend beauftragte ich Spezialisten vom Gerichtsmedizinischen Institut, das Hemd zu untersuchen. Sie kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß der Schuß aus eineT Distanz von höchstens zehn Zentimetern abgegeben worden sein mußte.
Einige Tage später traf ich mich mit Durrutis Frau, einer Französin, zum Abendessen.
»Wie ist er gestorben?« fragte ich sie. »Sicherlich wissen Sie die Wahrheit.«
»Ich, ich weiß alles.«
»Wie ist es geschehen?«
Sie sah mir direkt in die Augen. »Bis zum Tag meines Todes«, sagte sie dann, »werde ich mich an die offizielle Erklärung halten: ein Polizist von der Guardia Civil hat ihn von einem höhergelegenen Fenster aus erschossen.«
Etwas leiser fügte sie hinzu: »Aber ich weiß, wer ihn getötet hat.
Es war einer von denen, die neben ihm standen. Es war ein Racheakt.«
Jaume Miravitlles 2
Durruti war ein Mann, der in der Luft des Anarchismus aus dem neunzehnten Jahrhundert gelebt und geatmet hatte. Er sah sich selbst als Erben Bakunins an und war somit ein in der Wolle gefärbter Feind der Marxisten. Übrigens war er ein Mann von großer Intelligenz und ein Mann, der der Republik zum Sieg über die Anhänger des Generals Franco verhelfen wollte. An der Aragon-Front rührte sich nicht viel. In Barcelona hielten die Anarchisten, in der vergeblichen Hoffnung, sich den Kommunisten gegenüber zu behaupten, eine große Menge automatischer Waffen zurück, die beim Kampf um Madrid von großem Nutzen gewesen wären. Ihre ideologische Position hatten sie bereits halb preisgegeben, als sie sich auf die Mitverantwortung für die Regierung eingelassen hatten. Aber ihre militärische Position war unangefochten: nach wie vor waren sie in der Lage, Straßenkämpfe zu gewinnen, Rundfunkstationen und andere Kommunikationszentren zu besetzen, oder - wenn ihre antiautoritären Prinzipien es verlangten - dem Feind Tür und Tor zu öffnen, um zu verhindern, daß die Kommunisten die Kontrolle über
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