Der kurze Sommer der Anarchie
große Plakate der FAI und der CNT, die zur Schließung aller Bars und Cafes auffordern (die als Vorzimmer zum Bordell hingestellt werden). Die anarchistische Auffassung von Selbstaufopferung wird in diesen Tagen in Madrid mit glühender Energie verwirklicht.
Die marxistische Weltanschauung unterscheidet sich grundsätzlich von der der Anarchisten. Das bedeutet jedoch nicht, daß der aufrichtige Idealismus der CNT-FAI nicht auch seine guten Seiten hätte, oder daß sie nicht ihre ganze Kraft im Kampf gegen den Faschismus einsetzten, der gegenwärtig schwere Opfer fordert. Der Tod Durrutis ist für das ganze demokratische Spanien ein sehr schwerer Verlust.
Durruti ist energisch für die Vereinigung der beiden Industriegewerkschaften Spaniens eingetreten. Er war einer der wichtigsten Fürsprecher einer disziplinierten Volksarmee. Alle Parteien der Volksfront, die Regierung und die ganze Bevölkerung des republikanischen Spanien empfinden seinen Tod als einen schweren Schlag.
Hugh Slater
Wer ist Durruti, ihr Führer? In Montevideo war Durruti als internationaler Gangster bekannt. Sein Strafregister vermerkt Beteiligung an der Ermordung des Bischofs von Zaragoza und einen Raubüberfall auf die Bank von Gijon, wo er 550 000 Peseten mitnahm.
Die spanische und die chilenische Polizei fahndeten nach ihm in aller Welt. Die Chilenen wegen eines Überfalls auf eine Bankfiliale in Chile. Die kubanische Polizei suchte ihn wegen eines ähnlichen Anschlages.
1925 verübte er einen Raubüberfall in Buenos Aires. Nachdem er sich mit Bankraub dort durchgeschlagen hatte, suchten ihn die Franzosen wegen Beteiligung an einem Mordanschlag auf König Alfons.
Als in Spanien die Republik ausgerufen wurde, kehrte Durruti zurück. Er wurde später von seinen eigenen Leuten hinterrücks erschossen. Es ging um die Verteilung von Beute, und die Pasionaria, dieses Schreckensweib in der Madrider Regierung, feierte ihn dann bei seiner pomphaften Beerdigung als Vorbild des Freiheitskämpfers.
Das waren die Untermenschen, die Genosse Dimitroff und die anderen in Spanien losließen. An ihrer Seite standen die Verbrecher der Eisernen Kolonne, der Karl-Marx-Division, die mit Dum-Dum-Geschossen Gefangene zerfleischten.
Karl Georg von Stackelberg
Im November 1936 reisten wir, eine kleine Gruppe von anarchistischen Gewerkschaftlern, in die Sowjetunion. Die Gewerkschaften dieses Landes wollten uns zeigen, was sie seit der Revolution geleistet hatten; wir waren daran interessiert, unseren Gastgebern und dem russischen Volk die schwierige Lage zu erklären, in die uns der Bürgerkrieg und der internationale Faschismus gebracht hatten.
Schon bei unserm ersten Treffen mit den Vertretern der UdSSR konnten wir feststellen, daß Durruti dort kein Unbekannter war. Die Reportagen, die in der sowjetischen Presse über ihn erschienen waren, handelten nicht nur von seinen Taten im Bürgerkrieg, sie reichten weit in die Jahre vor dem 19. Juli zurück. Schon damals hatten russische Journalisten ihn in den Fabriken von Barcelona aufgesucht und einige Interviews mit ihm publiziert. Das russische Volk kannte Durruti sogar als Anarchisten — ein einzigartiger Fall, denn über andere Anarchisten schrieben die Russen kein Wort. Dagegen waren spanische Kommunisten wie die Pasionaria, Diaz und Mije in Rußland populärer als in ihrem eigenen Land. Das ist verständlich; denn es gibt dort nur kommunistische Zeitungen, alle andern sind verboten. Sie rühmen immer ihre eigenen Leute. Nur mit Durruti machten sie eine Ausnahme.
In Kiev gaben die Zivil- und Militärbehörden, die Vertreter der Universitäten und Schulen für uns einen Empfang im Großen Saal des besten Hotels der Stadt. Die ganze offizielle Ukraine war erschienen. Der Chef der Kiever Garnison, ein alter Bolschewik, hielt die Begrüßungsansprache. Nachdem er die Gäste willkommen geheißen hatte, gab er die Nachricht vom Tode Durrutis bekannt und forderte alle Anwesenden auf, sich zu einer Minute des Schweigens zu Ehren des »großen spanischen Guerrilleros« zu erheben.
Aber nicht nur die Offiziellen, die wir trafen, bewunderten Durruti. Während unseres Moskauer Aufenthalts besuchten wir einige Arbeiter, die in einem proletarischen Viertel der Stadt wohnten. In einem kleinen Holzhaus trafen wir einen Metallarbeiter, der an den Kämpfen des Jahres 1918 teilgenommen hatte. Er hatte eine große Familie zu ernähren und lebte recht elend. Den Krieg in Spanien hatte er aufmerksam verfolgt. Er winkte uns, in eine
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