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Der kurze Sommer der Anarchie

Der kurze Sommer der Anarchie

Titel: Der kurze Sommer der Anarchie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ängstlichen Polizeispitzel am Nebentisch. Der Gedanke, Barcelona einzunehmen, war gefaßt; man studierte ihn in allen Einzelheiten. Aber Madrid? Und die übrigen Provinzen? Würde es zum Sturz der Monarchie kommen?«
Der Generalstreik von 1917 wurde im Blut erstickt; siebzig Arbeiter starben unter den Kugeln der bewaffneten Macht. Zwei Gründe gaben den Ausschlag für das Scheitern der Massenaktion: die dominierende Rolle der Armee in der spanischen Gesellschaft und die Spaltung der spanischen Arbeiterbewegung. Seit den achtziger und neunziger Jahren war dem Anarchismus in Spanien ein Gegenspieler in Gestalt der Sozialdemokratie erwachsen. Die Partei, 1879 gegründet, hatte sich auf die parlamentarische Aktion innerhalb des gesetzlichen Rahmens verlegt; sie war angesichts der offenkundigen Verlogenheit des Wahlsystems jahrzehntelang klein und schwach geblieben; auch ihr gewerkschaftlicher Arm, die Union General de Trabajadores (UGT), wollte bis zum Weltkrieg kaum gedeihen. Mit ihren hohen Mitgliedsbeiträgen, ihrem kleinbürgerlichen Stab von bezahlten Funktionären, ihrer politischen Mäßigung, die von Furchtsamkeit kaum zu unterscheiden war, ahmte die spanische Sozialdemokratie ihre westeuropäischen Vorbilder getreulich nach. Sie war in jeder Hinsicht die Antithese zur CNT. Sogar in ihrer geographischen Verteilung bildeten die beiden Rivalen einen Gegensatz, der die spanische Arbeiterbewegung bis in den Bürgerkrieg hinein spalten sollte. Während die Anarchisten in Katalonien und Andalusien ihre Basis hatten, setzten die Sozialdemokraten sich vor allem in Asturien, in Bilbao und Madrid fest. Zur Massenbewegung wurde der Reformismus erst während der Hochkonjunktur des Ersten Weltkriegs, die den ökonomistischen und parlamentarischen Illusionen der Sozialdemokraten förderlich war. Der Antagonismus zwischen UGT und CNT war so tief verwurzelt, daß es nur in seltenen Augenblicken zur Aktionseinheit zwischen ihnen kommen konnte: 1917, 1934 und im Bürgerkrieg. Stets war es der Druck der Basis, der die Organisationen zum gemeinsamen Handeln zwang, und stets war die Aktionseinheit brüchig, vergiftet von Mißtrauen und alten Ressentiments. Ein dauerhaftes Bündnis zwischen den beiden Flügeln konnte es nicht geben, solange die Sozialdemokratie die Arbeiter in die bestehende Gesellschaft integrieren, die CNT aber diese Gesellschaft von Grund auf umstürzen wollte.
Der Umsturz war 1917 zugleich notwendig und unmöglich. Das alte Regime war politisch vollkommen bankrott, aber die militärischen und ökonomischen Kräfte, die es stützten, waren immer noch erheblich. Seine politischen Parteien, die »Konservativen« und die »Liberalen«, die in Wirklichkeit ein einziges Machtkartell waren, stellten nach wie vor die Regierungen, aber sie waren manövrierunfähig und nicht einmal imstande, ihren Kurs der taktischen Lage anzupassen. Die einzige Korrektur von politischem Gewicht, zu der sich die Madrider Administration aufraffen konnte, war ein Arrangement mit der katalanischen Bourgeoisie, der Anfang der zwanziger Jahre gewisse Zollkonzessionen eingeräumt wurden; das hatte freilich zur Folge, daß der katalanische Nationalismus nach links abgedrängt wurde. Seine Autonomieforderungen, die unerfüllt blieben, kristallisierten sich zu einer neuen Kraft, der kleinbürgerlichen Esquerra-Partei, die zu einem potentiellen, wenn auch unsicheren Bündnispartner der Arbeiterbewegung wurde. Hinter der parlamentarischen Kulisse gruppierten sich die gesellschaftlichen Kräfte der Rechten zu einem trägen, undurchsichtigen Bündnis: Im Vordergrund nach wie vor eine Klasse von unvorstellbar hirnlosen, unfähigen Gutsbesitzern, flankiert von einer aufgeblähten, parasitären Bürokratie; im Hintergrund, zunehmend mit ihr verfilzt, die wachsende Unternehmer-Bourgeoisie und der höhere Klerus, besonders die Jesuiten, die bereits 1912 ein Drittel des spanischen Industrie- und Finanzkapitals kontrollierten; schließlich das ausländische Kapital, das vor allem seit dem Weltkrieg ins Land geflossen war, und das dann 1936 eine erhebliche Rolle gespielt hat (französisches Kapital drei, englisches Kapital fünf, amerikanisches Kapital drei Milliarden Mark). Diese Kräftekoalition ist, ihrer inneren Widersprüche und ihrer Unbeweglichkeit zum Trotz, bis 1936 intakt geblieben. Die revolutionäre Arbeiterbewegung hat sie nicht mit politischen, sondern mit militärischen Mitteln in Schach gehalten. Die spanische Armee hatte sich schon im

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