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Der kurze Sommer der Anarchie

Der kurze Sommer der Anarchie

Titel: Der kurze Sommer der Anarchie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Ruder kam, da haben sie uns alle eingesperrt. Wegen jeder Kleinigkeit haben sie uns eingesperrt, und nicht nur unter der Diktatur. Ich habe fünf Jahre im Knast zugebracht, nicht nur in Barcelona, auch in Zaragoza, in San Sebastian, in Lerida. Und wenn wir im Gefängnis saßen, hatten wir immer irgendwelche Aufseher, die auf unserer Seite waren. Sie brachten uns Informationen und schmuggelten unsere Kassiber nach draußen, das lief wie am Schnürchen. Manche taten es aus Überzeugung, die andern haben wir eben bestochen. Um die Familie kümmerten sich die Genossen, wir konnten da ganz ruhig schlafen. Manchmal hielten wir im Gefängnis sogar politiche Konferenzen ab. Mit Durruti bin ich nur einmal zusammengesessen, mit Garcia Oliver öfters, und manche der Knastbrüder von damals sind später Minister geworden.
    Ricardo Sanz

Dritte Glosse. Über die spanische Zwickmühle 1917-1931
    Im Ersten Weltkrieg war Spanien ein neutrales Land. Die veralteten Bergwerke des Nordens, die zum großen Teil in der Hand ausländischer Kapitalisten lagen, arbeiteten auf Hochtouren: die katalanischen Industrien legten Nachtschichten ein; die landwirtschaftliche Produktion des Landes fand zu Höchstpreisen Absatz. Der Krieg brachte der spanischen Wirtschaft einen plötzlichen Boom, ohne daß sich ihre anachronistische Struktur verändert hätte. Die Löhne blieben niedrig. Am Tag des Waffenstillstandes hatte die Bank von Spanien Goldreserven in Höhe von neunzig Millionen Pfund gehortet. »Barcelona war mitten im Festtrubel, die Ramblas nachts ein Lichtmeer. Am Tag lagen sie im prächtigen Sonnenschein, von Vögeln und Frauen bevölkert. Auch hier floß der Goldstrom der Kriegsgewinne. Für die Alliierten wie auch für deren Feinde arbeiteten die Fabriken mit voller Kapazität. Die Firmen scheffelten Geld. Lebensfreude auf allen Gesichtern. In allen Schaufenstern, in den Banken, in den Lenden! Es war zum Wahnsinnigwerden.« So erlebte der Berufsrevolutionär Victor Serge den Winter 1916/17 in Spanien. »Als man schließlich nicht mehr an sie glauben wollte, erschien endlich die Revolution. Das Unwahrscheinliche wurde Wirklichkeit. Wir lasen die Telegramme aus Rußland. Wir fühlten uns verwandelt. Die Bilder, die sie uns übermittelten, waren einfach, konkret. Jetzt fiel das richtige Licht auf die Dinge. Die Welt war nicht unheilbar wahnsinnig. Die Spanier, sogar die Arbeiter in meiner Werkstatt, die keine Aktiven waren, begriffen instinktiv die Tage von Petrograd. Ihr Geist übertrug diese Erfahrung sofort auf Barcelona und Madrid. Die Monarchie Alfons XIII. war weder beliebter noch stabiler als die von Nikolaus II. Die revolutionäre Tradition Spaniens ging, wie die russische, auf die Zeit Bakunins zurück. Ähnliche soziale Ursachen waren hier wie dort am Werk: das Agrarproblem, die verzögerte Industrialisierung, ein gegenüber dem Westen um gut anderthalb Jahrhunderte zurückgebliebenes Regime. Der industrielle und kommerzielle Boom der Kriegszeit stärkte die Bourgeoisie, vor allem die katalanische, die der alten Aristokratie der Großgrundbesitzer und der völlig verkalkten königlichen Verwaltung feindselig gegenüberstand. Er steigerte auch die Kraft und die Ansprüche eines jungen Proletariats, das noch keine Zeit gehabt hatte, eine Arbeiteraristokratie zu bilden, das heißt zu verbürgerlichen. Das Schauspiel des Krieges erweckte den Geist der Gewalt. Die niedrigen Löhne (ich verdiente vier Peseten am Tag, ungefähr 80 amerikanische Cents) weckten Ansprüche, die auf sofortige Befriedigung drängten. Der Horizont erhellte sich von Woche zu Woche. In drei Monaten veränderte sich die Stimmung der Arbeiter von Barcelona. Der CNT strömten neue Kräfte zu. Ich gehörte einer winzigen Druckergewerkschaft an. Ohne daß sich die Zahl der Mitglieder erhöht hätte — wir waren etwa dreißig —, wuchs ihr Einfluß. Es schien, als wäre unser ganzer Beruf erwacht. Drei Monate nach dem Ausbruch der russischen Revolution begann der Arbeiterausschuß einen Generalstreik vorzubereiten, der zugleich ein Aufstand werden sollte.
Im Cafe Espanol auf dem Paralelo, diesem bevölkerten Boulevard, der nachts von Lichtern flammt, traf ich ganz in der Nähe des schrecklichen Barrio chino, in dessen modrigen Gassen es von Dirnen wimmelte, die in den Türöffnungen kauerten, Aktive, die sich für die nächste Schlacht rüsteten. Sie sprachen begeistert von denen, die dabei fallen würden, sie verteilten die Brownings, sie verhöhnten die

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