Der Kuss der Göttin (German Edition)
Quinn, die Dreiecke«, sagt sie, ohne direkt auf meine Frage zu antworten. »Und Tavia, es könnte sein, dass noch mehr seltsame Dinge passieren. Unerklärliche Dinge. Und das ist in Ordnung. Du sollst nur wissen, dass du mir vertrauen kannst und ich mein Bestes tun werde, dein Leben wieder in die Spur zurückzubringen. Dafür bin ich da.«
Ich nicke, aber ich meine es nicht ernst. Es ist nicht so, dass ich ihr nicht vertrauen würde; es ist nur zu groß, zu unwahrscheinlich. Vielleicht, wenn ich es selbst verstanden habe – wenn ich mich erklären kann, bevor sie mich einweisen lässt.
Oder verhaften.
Was tut man mit Leuten, die Lippenbalsam aus ihren Hosentaschen zaubern können?
»Glaubst du, du kannst vor unserer nächsten Sitzung vielleicht noch etwas zeichnen?«, fragt Elizabeth und klingt leicht und locker dabei; aber wir wissen beide, dass wir uns mit meiner Malblockade auf dünnem Eis bewegen, und wenn sie zu sehr drängt, wird es brechen. Dann werde ich zerbrechen.
»Vielleicht.« Zu mehr will ich mich nicht verpflichten.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich dieses Bild bis zu unserem nächsten Treffen behalte?«, fragt Elizabeth und reißt mich damit aus meinen Gedanken.
Sie hält die Zeichnung hoch und es gibt mir einen eifersüchtigen Stich. Ich unterdrücke den Drang, ihr die Zeichnung wieder wegzuschnappen, hole Luft und erinnere mich daran, dass ich, wenn ich es geschafft habe, eine zu zeichnen, auch noch weitere zeichnen kann. Oder zehn. Oder hundert.
Abgesehen davon sind es nur ein paar Tage.
Warum schmerzt mein Herz dann, als sei die Zeichnung für immer verloren? Als sei er für immer verloren?
K apitel 10
A ls meine Sitzung zu Ende ist, gießt es. Elizabeth bietet mir an, mich mitzunehmen, aber ich lehne ab. Ich muss über vieles nachdenken – ein Spaziergang im Regen ist genau das, was ich brauche. Und ich trage heute in weiser Voraussicht tatsächlich eine Regenjacke statt meinem üblichen Kapuzenpulli; ich werde einigermaßen trocken bleiben. Elizabeth versucht, mich zu überreden – sagt, mir werde zu kalt werden. Aber schließlich lässt sie mich gehen, als ich ihr sage, ich wolle zur Bibliothek.
Als ich auf die Straße trete, blicke ich auf und sehe gerade noch einen Mann, der halb von einem Busch verdeckt wird. Er lehnt lässig an einem der Gebäude gegenüber von Elizabeth’ Praxis und scheint mich noch nicht gesehen zu haben. Aber er kommt mir bekannt vor.
Erst als er die Hand hebt, um die Sonnenbrille zurechtzurücken – Sonnenbrille bei Regen? –, wird mir klar, dass es der Mann ist, der mich angestarrt hat, als ich gegen die Mauer gelaufen bin. Habe ich noch einen Stalker? Oder sollte ich Paranoia mit auf die Liste der Geisteskrankheiten setzen, die durch meine Verletzungen ausgelöst wurden? Höchstwahrscheinlich wohnt er einfach in der Nähe, und jetzt, wo ich ihn bemerkt habe, werde ich ihn ständig sehen – wie wenn man ein neues Auto kauft und plötzlich dasselbe Modell sieht, wo man geht und steht. Trotzdem macht es mir Angst, also ziehe ich den Kopf ein und umklammere meine Rucksackgurte, wirble herum und gehe in die andere Richtung.
Ich bin nur zwei Blocks von Elizabeth’ Praxis entfernt, als mein Magen knurrt. Ich war so nervös wegen meines Termins – ganz zu schweigen von überdreht wegen Benson –, dass ich vergessen habe zu frühstücken. Jetzt bin ich ausgehungert.
Ich war in letzter Zeit oft hungrig. Oder besser ausgehungert. Als ich gestern nach Hause kam, nachdem ich Quinn gesehen hatte, habe ich, glaube ich, doppelt so viel Lasagne gegessen wie sonst. Eigentlich wollte ich Elizabeth danach fragen, aber nach allem, was diese Woche passiert ist, habe ich es irgendwie vergessen. Ich nehme an, es ist ein Zeichen, dass es mir langsam besser geht – dass mein Körper mehr Treibstoff für die Reparaturen braucht. Was auch immer der Grund ist: Mein Magen schreit nach Essen.
Ein Teil von mir will trotzdem zur Bibliothek – vielleicht können Benson und ich gemeinsam zu Mittag essen. Er hat schließlich gesagt, wir sollten uns treffen, aber nicht bei der Arbeit. Doch die Vernunft kriecht in mein Gehirn, und mir wird klar, dass klitschnass und heruntergekommen bei jemandem auf der Arbeit aufzutauchen, nicht die beste Art ist, sich ein Date zu angeln. Erst nach Hause. Und vielleicht sollte ich mir Reese’ Auto borgen, um zur Bibliothek zu fahren; es schüttet wirklich.
Hübsch für Benson auszusehen war vorher nicht wichtig. Aber jetzt …
Als ich
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