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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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durch den allmählich dichter werdenden Wald, keine Diebe und Geheimniskrämer mehr, sondern zwei junge Männer mit dem Auftrag eines Arztes, mit Brief und Siegel, unterwegs nach Jesengorod. Je weiter sie sich von dem sumpfigen Flussgebiet entfernten, umso grüner wurde der Wald. Laubbäume spannten ihr Dach über ihren Köpfen auf, Farne und Beerensträucher wuchsen auf dem Weg. Obwohl sie ihre Schuhe damit nicht schonten, gingen Johannes und Jewgenij ein gutes Stück neben dem ohnehin nur schlecht gerichteten Weg. Weit genug um sich im Wald zu verbergen – nah genug um keinen Reisenden, der ihnen auf dem Weg entgegenkam, zu verpassen. Der alte Kompass, den Johannes noch in Moskau gegen eine Zimmermannsarbeit eingetauscht hatte, leistete ihnen gute Dienste, denn ab und zu waren sie nicht mehr sicher, wo sich der Weg befand. Bald wurde der Marsch anstrengend, das Hochgefühl verflog. Schweigend liefen sie nebeneinanderher und rasteten nur kurz um etwas zu essen. Lange würden die Vorräte nicht reichen, aber Jewgenij musterte schon seit geraumer Zeit das Buschwerk und hielt nach Rebhühnern Ausschau. Am Spätnachmittag verschwand die diesige Sonne ganz hinter Wolken und sie mussten sich unter einen Baum mit tief hängenden Ästen zurückziehen um zu vermeiden, dass alle Vorräte im Regen nass wurden. Im Zwielicht des Gewitters, das über ihnen niederging, funkelte der Wald wie eine Schatztruhe, gefüllt mit Kristalltropfen und grünen Juwelen. Wie sehr hatte Johannes der frische Duft von Moos und lebendem Holz gefehlt! Schulter an Schulter warteten Jewgenij und er, bis das Gewitter vorbei war.
    In der Dämmerung begannen sich die Geräusche zu verändern, das Knacken im Geäst bekam einen Hall. Weit entfernt im Unterholz erblickte Johannes einen gewaltigen Schatten. Wie mächtige Schiffe trieben Geweihschaufeln eines Elchs zwischen Laub und Ästen. Beinahe ohne zu atmen beobachteten Johannes und Jewgenij, wie das riesige Tier gemächlich an ihnen vorüberzog.
    Der Abend legte seinen dunklen Mantel über die Bäume, Augen begannen zu leuchten. Die Augustnacht trug nur noch eine leise Erinnerung an die weißen Nächte mit sich. Für das Nachtlager rollte Johannes die Wolldecke aus, die Marfa ihm mitgegeben hatte. Die Reiseröcke hängten sie an die Zweige eines Baumes, damit sie nicht zerknitterten, und rückten eng zusammen. Es war angenehm, Jewgenijs Wärme zu spüren, und Johannes war wieder einmal irritiert, wie nahe er sich seinem Freund fühlte.
    »Siehst du das?«, flüsterte Jewgenij und deutete auf einen Schatten. »Ist das ein Bär?«
    Johannes schauderte und rückte unwillkürlich noch näher an seinen Freund heran. »Es gibt hier doch keine Bären, oder?«
    »Was fragst du mich?«, gab Jewgenij mit leiser Stimme zurück. »Wenn du wissen willst, ob das ein Gurkenfisch ist, dann kann ich es dir sagen, aber für Tiere, die zwischen Bäumen leben, bist du zuständig.«
    »Hier gibt es keine Bären«, log Johannes. Lange lauschten sie in die Nacht, bis schließlich doch die Müdigkeit siegte. Am Morgen waren sie zerschlagen und machten sich mit schmerzenden Beinen auf den Weg.
    Eine Weile wanderten sie an einem Weg entlang, in den sich tiefe Räderspuren eingegraben hatten. Sie liefen über Wiesen und legten, so schätzte Johannes, etwa zwölf Meilen zurück. Von weitem sahen sie berittene Soldaten und einen Transport, der auf schweren Rädern in Richtung Sankt Petersburg rollte. Es mochte eine neue Ladung von Nahrungsmitteln und Werkzeug sein. Beunruhigt beobachteten sie die Menschen, aber Derejews Leute waren nicht dabei und auch kein Bojar in langen Gewändern. Hin und wieder sahen sie weitere Transportgruppen, die sich ebenfalls in Richtung des Newadeltas bewegten, Pferdegespanne und Fußkolonnen mit neuen Arbeitern.
    Tannenduft umwehte sie und ließ sie in dieser Nacht von Holzfeuern und Wintern träumen. Einmal weckte Jewgenij Johannes und deutete auf eine nebelweiße vierbeinige Gestalt mit leuchtenden Augen. »Ein Wolf«, flüsterte er. »Ein weißer Wolf – siehst du ihn?«
    Die Gestalt verschwand, bis Johannes erwacht war, und er fragte sich noch lange, ob er das Tier nur gemeinsam mit Jewgenij geträumt oder es wirklich gesehen hatte. Am zweiten Tag ihrer Wanderung kam eine Ansammlung von Hütten in Sicht. Weit verstreut lagen sie in der Ebene, kleinere Gehöfte, geschützt durch hohe Holzzäune. Johannes rechnete nach und kam zu dem Ergebnis, dass die Stadt nur noch etwa zehn Meilen entfernt

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