Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
sein musste. Die Nacht dämmerte heran. Für Johannes war die Aussicht, zumindest wieder unter einem Dach zu schlafen, mehr als verlockend. »Ich werde bei einem der Bauern nachfragen, ob wir übernachten können. Für ein paar Kopeken werden sie uns eine Unterkunft geben.«
    »Bist du verrückt?«, fragte Jewgenij. »Willst du, dass man uns beraubt?«
    »Als wir aus Moskau an die Newa gereist sind, haben wir oft in Gutshöfen übernachtet.«
    »Da hattet ihr mehrere Gehilfen dabei«, gab Jewgenij zurück. »Wir finden einen anderen Platz, Brehmow.«
    Johannes sah seinen Freund von der Seite an. »Du traust den Menschen wirklich nicht«, stellte er fest.
    »Wir können uns kein Vertrauen leisten«, erwiderte Jewgenij ungerührt. »Stell dir vor, wir werden aufgehalten und finden Karpakow nicht. Dann ist die Stadt verloren. Hast du Werkzeug dabei?«
    »Was?«
    »Na, einen Hammer oder eine Zange – irgendetwas, womit man ein Brett lockern oder einen Riegel aufbrechen kann.«
    »Ja«, sagte Johannes. »Aber wir werden noch viel mehr Zeit verlieren, wenn man uns dabei fasst, wie wir in ein Haus einbrechen.«
    »Niemand wird uns erwischen. Siehst du die Scheune da hinten?«
    Johannes spähte an den Rand der Siedlung und entdeckte ein stabiles Gebäude, das eingezäunt war. Vielleicht standen die Pferde am Tage auf der Weide. »Ein Pferdestall ist gut bewacht«, gab er zu bedenken. »Für gewöhnlich sind Hunde in der Nähe.« Er fragte sich, wieso er sich in Jewgenijs Gegenwart immer ein wenig wie ein ängstlicher alter Mann fühlte.
    Jewgenij lächelte. »Ich habe keinen Hund gesehen. Gib mir dein Werkzeug.«
    Zögernd holte Johannes einen kleinen Spitzhammer mit einem gespaltenen Eisenkopf hervor. Noch nie in seinem Leben hatte er einen Menschen gekannt, dem er sein Zimmermannswerkzeug anvertraut hätte. Aber das hier war Jewgenij.
    Wenig später umrundeten sie das Dorf am Waldrand und schlichen im Baumschatten an die Rückseite der Scheune heran. Tatsächlich war kein Wachhund zu sehen, und als Johannes die Häuser genauer betrachtete, konnte er sich vorstellen warum. Nur wenige sahen so aus, als würde jemand darin wohnen, einige zeigten schon die ersten Anzeichen des Zerfalls. Lediglich zwei Häuser waren so gut verschlossen, dass ein Eindringling alle Mühe gehabt hätte, in das Innere zu gelangen. Wie viele Menschen mochten darin hausen? Zehn? Zwölf? Vielleicht taten die Bauern längst Dienst in Sankt Petersburg und nur die Alten und die Kinder waren noch hier.
    Jewgenij reichte Johannes sein Gepäck und lief flink wie ein Fuchs über die Wiese. An der Rückwand der Scheune angekommen kletterte er an der Wand hinauf. Johannes hielt die Luft an, als er seinen Freund bei dieser halsbrecherischen Kletterpartie beobachtete. Er konnte nicht anders als Jewgenij zu bewundern. Mit offenem Mund beobachtete er, wie der Fischerjunge am Giebel ankam, den Hammer zückte und etwas hochhebelte. Einen Augenblick später war er verschwunden. Besorgt blickte Johannes sich um. Nach einer Ewigkeit tauchte Jewgenijs Gestalt neben der Scheune auf und winkte. Johannes nahm seinen Mut zusammen und lief los. Beim Eingang zur Scheune erkannte er, dass Jewgenijs gefährliches Kunststück nicht nötig gewesen wäre. Das Tor war nur notdürftig verschlossen, mit etwas Mühe hätte es sich auch von außen öffnen lassen. Jewgenij strahlte und winkte ihn hinein. Es waren keine Pferde im Stall, so viel sah er auch im Dunkeln; in dem Raum befanden sich nur ein paar alte Leitern und der Geruch nach schimmligem Stroh. Die Bewohner hatten alles, was gestohlen werden konnte, in ihre Häuser gebracht.
    »Da ist ein bisschen Heu«, erklärte Jewgenij und deutete auf den Boden. Erleichtert ließen sie sich wenig später nebeneinander nieder. Es tat gut, die schmerzenden Beine auszustrecken.
    »Morgen sind wir in der Stadt«, sagte Johannes leise.
    »Zehn Meilen zu Karpakow«, murmelte Jewgenij. »Ob wir ihn finden?« Die Furcht in seiner Stimme berührte Johannes.
    »Wir müssen.« Während er diese Worte sagte, ertappte er sich dabei, nach Jewgenijs Hand greifen zu wollen, und hielt erschrocken in der Bewegung inne. Hastig zog er die Hand zurück und war froh um die Dunkelheit, die seine brennenden Wangen verbarg. Sankt Petersburg macht mich verrückt, sagte er sich. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin und was ich will. Er bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. »Hast du die Perle noch?«
    Ein Scharren zeigte ihm, dass Jewgenij nach dem kleinen

Weitere Kostenlose Bücher