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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Lederbeutel suchte. Kalte Finger streiften über seinen Unterarm.
    »Hier«, sagte Jewgenij, und Johannes griff nach dem Beutel und war beruhigt die Perle durch das Leder hindurch zu fühlen. »Womit hast du sie gefärbt?«
    »Das willst du nicht wissen, glaube mir. Aber sie ist so rot, dass ein Blutstropfen dagegen aussieht wie Spucke.«
    Johannes lachte auf, bis abrupt eine neue Sorge wie eine mahnende Hand an seinen Hinterkopf pochte. Er musste sich räuspern, um die Frage so beiläufig wie möglich herauszubringen. »Was wirst du tun, wenn die Russalkas ins Meer zurückkehren? Bleibst du in Sankt Petersburg?«
    Jewgenij zog scharf die Luft ein. Eine Pause entstand, in der Johannes plötzlich elend zumute war.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Jewgenij zögernd. »Darüber werde ich nachdenken, wenn es so weit ist. Lass uns schlafen, Brehmow. Wir haben morgen ganz andere Probleme zu lösen.«
    Er rückte näher an Johannes heran und zog einen Zipfel von Marfas Decke über seine Schultern. Lange lagen sie schweigend nebeneinander. Johannes lauschte auf die Atemzüge seines Freundes, verfolgte, wie sie immer tiefer wurden, bis er endlich ebenfalls einschlief. Im Traum küsste ihn die Russalka. Es war ein warmer, schuppiger Kuss, der Johannes das Gefühl gab, von einem Fluss aus Wärme davongetragen zu werden. Zar Peter zertrümmerte die Perle mit einem Hammer. Ein magerer weißer Wolf erschien – er hatte Jewgenijs Lächeln.

Karpakows Kammer
    Etwas kitzelte an seiner Nase und er hob schlaftrunken die Hand, um das Insekt zu vertreiben. Seine Finger griffen in fremdes Haar. Johannes riss die Augen auf und erstarrte. Frühlicht fiel durch das löchrige Dach und legte ein feines Netz aus Lichtfäden auf das staubige Holz. Immer noch kitzelte Jewgenijs Haar seine Wange. Einen verwirrenden Augenblick lang ließ Johannes diese ungewohnte Nähe zu, dann rückte er behutsam von seinem Freund ab. Jewgenij schlief noch tief, mit einem besorgten, angespannten Gesichtsausdruck, der seltsam liebenswert wirkte. Johannes schluckte und betrachtete seinen Freund. Selbst im Schlaf waren die Hände zu Fäusten geballt. Sein Hemd war hochgerutscht und Johannes sah den knochigen Bogen einer Rippe, die sich mit jedem Atemzug hob und senkte. Aus einer nicht nachvollziehbaren Scham griff Johannes behutsam zur Decke und wollte sie wieder über Jewgenij breiten. Er stutzte. Unter dem Hemd lugten straff um den Körper geschnürte Stoffstreifen hervor. Einen solchen Verband hatte Jewgenij getragen, als er sich die Rippe gebrochen hatte, vor – wie langer Zeit? Johannes’ Kopf fühlte sich plötzlich an, als würde ein Räderwerk darin mühsam in Gang kommen. „Wie lange brauchte eine Rippe um zu heilen? Seltsamerweise fiel ihm die Russalka ein. Die fächelnde Bewegung, mit der sie ihr Haar im Wasser bewegte. Schwarzes Haar, das sich wie ein enges Kleid an ihren Körper legte und ihre Brüste verbarg. »Was wir sehen, bedeutet nichts«, hallte ihre Stimme in seinem Kopf wider. Zögernd sah er Jewgenij an. Er betrachtete ihn sehr genau – die von der Arbeit knochigen und doch schmalen Hände, die feinen Züge, das im Schlaf so weiche Gesicht und die Wimpern, die noch im letzten Traum bebten.
    Endlich traf ihn die Erkenntnis wie ein ganzer Eimer voll eiskalten Waschwassers und ließ ihn dumm, frierend und von oben bis unten begossen zurück. Er ballte die Hände zu Fäusten. Verdammt, was für ein Idiot war er gewesen? Blind? Taub? Tausend Augenblicke fielen ihm ein, in denen er es gesehen hatte, gewusst hatte, nur seine eigene Verbohrtheit hatte ihm ein massives Brett vor den Kopf genagelt. Und die Russalka hatte es ihm gesagt, auf ihre Weise zwar, aber deutlich genug. Sein Kopf brannte vor Scham, als ihm einfiel, was er am Newaufer über Christine erzählt hatte. Hatte er sich tatsächlich damit gebrüstet, sie geküsst zu haben? Christine, an die er längst nicht mehr dachte, seit … ja, seit er Jewgenij kennen gelernt hatte. Jewgenij. Die neue Erkenntnis traf ihn nicht mehr ganz so unvorbereitet, eher wie ein sachlicher Schlag mit dem Prügelstock, den man als Verurteilter eben erwartete. Wie mochte der richtige Name lauten?
    Johannes hob den Kopf und sah sich das schlafende Gesicht noch einmal genau an, ohne Schreck nun, sehr aufmerksam, und er dachte so lange nach, bis seine Gedanken sich im Kreis drehten. Das Märchen von der schönen Königstochter fiel ihm ein, die bei der Hexe Baba Jaga Knochenbein gefangen war. Plötzlich musste

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