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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Ginge wußte immer, wann er abends zu Hause war, weil dann im Erkerfenster des zweiten Stockes Licht brannte. Er hatte ihn nie in anderer Begleitung als der seiner Mutter gesehen – nach der Beschreibung konnte es nur die alte Mrs. Hathall sein –, die er an einem Samstag nachmittag im Wagen mit zu sich nach Hause gebracht hatte. Mutter und Sohn hatten schon auf dem Bürgersteig, noch ehe sie die Haustür erreichten, einen Wortwechsel gehabt, einen verbissenen, mit gedämpften Stimmen ausgefochtenen Streit.
    Ginge besaß kein Auto. Er hatte auch keinen Job, aber für die bescheidene Summe, die Wexford sich leisten konnte, schien es ihm dennoch nicht lohnend, mehr als einen Abend und vielleicht noch einen Samstag- oder Sonntagnachmittag pro Woche mit der Beobachtung von Robert Hathall zu verbringen. Es war also leicht möglich, daß Hathall sein Mädchen an ein oder zwei der übrigen sechs Abende mit nach Hause brachte. Und dennoch gab Wexford die Hoffnung nicht auf. Eines Tages, irgendwann … Er träumte nachts von Hathall, nicht sehr oft, etwa einmal in vierzehn Tagen, und in diesen Träumen sah er ihn zusammen mit dem dunkelhaarigen Mädchen mit der Narbe am Finger, oder auch allein, so wie er ihn gesehen hatte, als er in Bury Cottage am Kamin stand, paralysiert vor Angst, jähem Begreifen und – ja, und vor tiefem Schmerz.
    »Am Nachmittag vom Samstag, dem fünfzehnten des laufenden Monats, um fünfzehn Uhr fünf wurde der Kontrahent beobachtet, wie er sich von seinem Domizil in der Dartmeet Avenue 62 zur West End Lane begab, wo er in einem Supermarkt Einkäufe tätigte …« Wexford fluchte. Es war fast immer dasselbe. Und welchen Beweis hatte er eigentlich, daß Ginge wirklich dort gewesen war, ›am Nachmittag vom Samstag, dem fünfzehnten des laufenden Monats‹? Natürlich würde Ginge sagen, er sei dagewesen, wenn pro Beobachtungswache ein Pfund für ihn heraussprang. Der Juli kam, der August, und Hathall führte, wenn man Ginge trauen konnte, ein einfaches, geregeltes Leben, ging zur Arbeit, kam nach Hause, kaufte am Samstag ein, unternahm gelegentlich abends Ausfahrten. Wenn man Ginge trauen konnte …
    Daß man es – bis zu einem gewissen Grade – konnte, erwies sich im September kurz vor Angelas erstem Todestag. »Es besteht Grund zu der Annahme«, schrieb Ginge, »daß der Kontrahent sein Kraftfahrzeug aufgegeben hat, da es von seinen üblichen Parkplätzen verschwunden ist. Am Abend vom Donnerstag, dem 10. September, begab er sich, nachdem er um achtzehn Uhr zehn von seiner Arbeitsstelle nach Hause gekommen war, um achtzehn Uhr fünfzig aus seinem Domizil und bestieg bei West End Green, NW 6, den Bus Nummer achtundzwanzig.«
    Steckte da etwas dahinter? Wexford glaubte es nicht. Bei seinem Gehalt konnte Hathall es sich sehr wohl leisten, einen Wagen zu fahren, aber vielleicht hatte er ihn bloß wegen der auf der Straße immer schlechter werdenden Parkmöglichkeiten abgeschafft. Immerhin, von seinem Standpunkt aus war das eine gute Sache. Denn jetzt konnte man ihn verfolgen.
    Wexford schrieb nie an Ginge. Das war zu riskant. Der kleine Bursche war womöglich nicht völlig immun gegen Erpressung, und wenn irgendwelche Briefe Griswold in die Hände fielen … Sein Entgelt schickte er in Banknoten in einem neutralen Briefumschlag, und wenn er mit ihm sprechen mußte, was wegen der dürftigen Neuigkeiten selten war, dann konnte er ihn immer zwischen zwölf und eins in einem Pub in Kilburn erreichen, der sich Countess of Castlemaine nannte.
    »Ihn verfolgen?« fragte Ginge nervös. »Wie, in dem Scheißbus, dem Achtundzwanziger?«
    »Warum denn nicht. Er hat Sie doch nie gesehen, oder?«
    »Vielleicht doch. Wie kann ich das wissen? Es ist verdammt nicht einfach, einen Typen in so ‘nem Scheißbus zu verfolgen.« Ginges Redeweise unterschied sich markant von seinem schriftlichen Stil, besonders im Gebrauch von Kraftausdrücken. »Wenn er nun nach oben geht, und ich gehe nach drinnen, oder andersrum …«
    »Was heißt hier andersrum?« meinte Wexford. »Sie setzen sich auf den Sitz hinter ihm und bleiben ihm auf den Fersen. Klar?«
    Für Ginge schien das durchaus nicht so klar zu sein, aber er willigte doch widerstrebend ein, es zu versuchen. Ob er es nun versucht hatte oder nicht, erfuhr Wexford nicht, denn in Ginges nächstem Bericht stand von Bussen nichts. Und doch, je genauer er diesen Bericht mit seinen Amtsgerichtsfloskeln studierte, desto mehr interessierte er ihn. »Da ich mich am

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