Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
Vom Netzwerk:
darauf beharrte. Möglich, daß ihm die spitze Bemerkung über das Innenministerium nicht geschmeckt hatte, möglich aber auch, daß er fürchtete, jener Seitenhieb würde unnötig bedeutungsschwer, wenn er ihn frei im Raum schweben ließe.
    »Ich habe immer gefunden«, meinte er, »obwohl ich es noch nie ausgesprochen habe, daß es in Ihrer Theorie einen gravierenden Schwachpunkt gibt. Wenn Hathall eine Komplizin mit einer solchen Narbe am Finger gehabt hätte, dann hätte er doch darauf bestanden, daß sie Handschuhe trägt. Denn wenn sie auch nur einen einzigen Abdruck hinterlassen hätte, wäre es für ihn doch unmöglich geworden, mit Ihr zusammenzuleben oder sie zu heiraten, oder sie auch nur wiederzusehen. Und Sie behaupten, er habe Angela umgebracht, um genau das zu tun. Das kann also nicht seine Absicht gewesen sein. Ist doch eigentlich ganz einfach, wenn man darüber nachdenkt.«
    Wexford erwiderte nichts darauf. Er ließ sich keinerlei Aufregung anmerken. Aber als er abends nach Hause kam, studierte er seinen Stadtplan von London, führte ein Telefongespräch und verbrachte einige Zeit grübelnd über seinem letzten Bankauszug.
    Die Fortunes waren auf einen Wochenendbesuch gekommen. Onkel und Neffe spazierten die Wool Lane entlang und blieben vor Bury Cottage stehen, das noch nicht wieder vermietet worden war. Der ›Mirakel‹-Baum war mit Blüten übersät, und hinter dem Haus am Hügel, der von einer Baumgruppe gekrönt war, weideten junge Lämmer.
    »Hathall hält eben auch nichts von Herden blöder Schafe«, meinte Wexford, dem eine Unterhaltung einfiel, die sie einmal hier ganz in der Nähe geführt hatten. »Er hat sich so weit wie nur irgend möglich von den Epsom Downs entfernt niedergelassen, dabei ist er doch ein gebürtiger Südlondoner. Er wohnt jetzt in West Hampstead. Dartmeet Avenue. Kennst du die?«
    »Ich weiß, wo sie liegt. Zwischen Finchley Road und West End Lane. Warum hat er sich wohl gerade Hampstead ausgesucht?«
    »Weil es am weitesten von Südlondon weg ist, wo seine Mutter und seine Exfrau und seine Tochter leben.« Wexford zog einen Pflaumenblütenzweig herunter an sein Gesicht und roch den zarten Honigduft. »Jedenfalls vermute ich das.« Der Zweig schnellte zurück und ließ Blütenblätter ins Gras rieseln. Nachdenklich fuhr er fort: »Er scheint ein zölibatäres Leben zu führen. Die einzige Frau, mit der er gesehen worden ist, ist seine Mutter.«
    Howard war verblüfft. »Willst du damit sagen, du läßt ihn – durch jemanden observieren?«
    »Ein richtiger Spion ist dieser Jemand gerade nicht«, räumte Wexford ein, »aber er war das Beste und Sicherste, was ich finden konnte. Genauer gesagt, es ist der Bruder eines meiner alten Stammkunden, eines Burschen namens Monkey Matthews. Der Bruder heißt Ginge, wegen seiner rötlich-gelben Haare. Er wohnt in Kilburn.«
    Howard lachte, aber wohlwollend. »Und was macht dieser Ginge? Ihn verfolgen?«
    »Nicht direkt. Er behält ihn ein bißchen im Auge. Ich zahle ihm ein kleines Entgelt. Natürlich aus meiner eigenen Tasche.«
    »Ich wußte gar nicht, daß dir die Sache so ernst ist.«
    »Ich weiß nicht, wann in meiner ganzen Karriere mir eine Sache so ernst gewesen ist wie diese.«
    Sie kehrten um. Ein leichter Wind hatte sich erhoben, und es begann kühl zu werden. Howard warf einen Blick zurück auf den Heckentunnel, der bereits grün und dicht wurde, und fragte ruhig: »Was erhoffst du dir davon, Reg?«
    Sein Onkel antwortete nicht gleich. Er sprach erst wieder, als sie an der alleinstehenden Villa vorüber waren, in deren Garageneinfahrt Nancy Lakes Wagen stand. Er war so tief in Gedanken versunken gewesen, so still und geistesabwesend, daß Howard vielleicht geglaubt hatte, er habe die Frage vergessen oder wisse keine Antwort darauf. Aber jetzt, als sie die Stowerton Road erreichten, sagte er: »Lange Zeit habe ich überlegt, warum Hathall derartig entsetzt war – und das ist noch eine Untertreibung –, als ich ihm von dem Abdruck berichtete. Natürlich, er wollte nicht, daß die Frau entdeckt wird. Aber es war nicht nur Angst, die man ihm ansah. Das war noch mehr, es war so was wie eine furchtbare Trauer, die aus ihm sprach – nachdem er sich etwas gefangen hatte, jedenfalls. Und da kam ich zu dem Schluß, daß seine Reaktion völlig unmißverständlich war: Er hatte Angela eigens dazu umgebracht, um mit dieser anderen Frau leben zu können. Und nun plötzlich begriff er, daß er nicht einmal wagen konnte, sie je

Weitere Kostenlose Bücher