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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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nachdenklich.
    »Sieht nicht so aus. Wäre ich ein Optimist, würde ich sagen, er hält es für sicherer, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.«
    Aber es war der 3. Dezember … Nur noch zwanzig Tage. Dora hatte mit ihrem Mann die restlichen Weihnachtseinkäufe erledigt. Er hatte Päckchen getragen, hatte beteuert, dies sei genau das Richtige für Sheila und jenes sei genau das, was Sylvias älterer Sohn sich wünschte, aber die ganze Zeit dachte er: noch zwanzig Tage, zwanzig Tage …! Für ihn würde die Adventszeit dieses Jahres nur die Zeit von Hathalls gelungener Flucht sein.
    Howard schien seine Gedanken zu erraten. Er verspeiste gerade eine der enormen Mahlzeiten, die er sich, ohne auch nur ein Pfund zuzunehmen, einverleiben konnte. Er nahm sich ein zweites Mal von der ›Charlotte russe‹ und meinte: »Wenn wir ihn nur wegen irgendwas drankriegen könnten.«
    »Was denn?«
    »Weiß nicht. Irgendeine kleine Sache, wegen der man ihn belangen und ihn so daran hindern könnte, das Land zu verlassen. So was wie Ladendiebstahl zum Beispiel oder Schwarzfahren in der U-Bahn.«
    »Aber er scheint ein ehrlicher Mann zu sein«, seufzte Wexford, »wenn man einen Mörder ehrlich nennen kann.«
    Sein Neffe kratzte die Dessertschüssel leer. »Ich vermute, er ist ehrlich?«
    »Soweit ich weiß, ja. Mr. Butler hätte es mir erzählt, wenn es nur die geringste Unredlichkeit gegeben hätte.«
    »Das glaube ich auch. Damals ging es Hathall ja finanziell auch gut. Aber es ging ihm finanziell schlecht, als er Angela heiratete, stimmt’s? Und doch haben sie damals – trotz ihres knappen Budgets von angeblich fünfzehn Pfund pro Woche – anscheinend ganz flott gelebt. Du hast mir doch erzählt, Somerset hätte sie zufällig bei einem Einkaufsbummel gesehen, und später beim Essen in einem teuren Restaurant. Wo ist denn das Geld dafür hergekommen, Reg?«
    Wexford goß sich ein Glas Chablis ein und sagte: »Darüber hab ich mir auch schon Gedanken gemacht, aber ohne Ergebnis. Ich hielt es auch nicht für relevant.«
    »In einem Mordfall ist alles relevant.«
    »Stimmt.« Wexford war seinem Neffen zu dankbar, um auf diese kleine Zurechtweisung gekränkt zu reagieren. »Ich hab mir wahrscheinlich gedacht, wenn ein Mann immer ehrlich gewesen ist, dann wird er doch nicht im mittleren Alter auf einmal unehrlich.«
    »Das kommt auf den Mann an. Dieser Mann wurde auch im mittleren Alter plötzlich ein untreuer Ehemann. Er scheint sich sogar, obgleich er seit seiner Pubertät stets monogam war, zu einem richtigen Weiberhelden entwickelt zu haben. Und er wurde ein Mörder. Du wirst mir doch nicht sagen, er habe auch früher schon mal jemanden umgebracht, oder?« Howard schob den Teller weg und fing mit dem Gruyère an. »Es gibt bei alledem einen Faktor, den du meiner Meinung nach nicht genügend beachtet hast. Eine Persönlichkeit.«
    »Angela?«
    »Angela. Erst als er sie traf, hat er sich verändert. Viele würden sagen, sie habe ihn korrumpiert. Es ist zwar eine etwas abseitige Möglichkeit – wirklich ein weit hergeholter Gedanke –, aber Angela hat immerhin selbst eine kleine Betrügerei begangen, eine, von der du weißt, vielleicht aber auch noch andere, von denen du nichts weißt. Mal angenommen, sie hätte ihn zu irgendwelchen Unehrlichkeiten ermutigt?«
    »Das erinnert mich an eine Bemerkung von Mr. Butler. Er erzählte mir, er habe zufällig mit angehört, wie Angela zu seinem Partner Paul Craig gesagt hat, er habe den richtigen Job, um seine Steuererklärung zu frisieren.«
    »Na bitte! Sie müssen das Geld irgendwo hergekriegt haben. Es ist ja schließlich nicht auf Bäumen gewachsen wie die ›Mirakelpflaumen‹.«
    »Aber ich bin nirgends auch nur auf eine Spur dergleichen gestoßen«, sagte Wexford. »Das müßte dann bei Kidds gewesen sein. Und Aveney hat nicht die leiseste Andeutung fallenlassen.«
    »Du hast ihn ja auch nicht nach Geld gefragt. Du hast ihn nach Frauen gefragt.« Howard stand vom Tisch auf und schob seinen Stuhl zur Seite. »Gehen wir zu den Damen. An deiner Stelle würde ich morgen mal einen kleinen Ausflug nach Toxborough unternehmen.«

16
    Der rechteckige weiße Kasten, auf grünen Rasen gebettet, dahinter der Fächer neu angepflanzter Bäume, blattlos und kläglich jetzt im Dezember, und drinnen der warme Zellulosegeruch und die Turbanfrauen, die zur Musik aus ›Dr. Schiwago‹ Puppen bemalten. Mr. Aveney geleitete Wexford durch die Arbeitsräume ins Büro des Personalchefs und redete dabei

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