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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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die Stimme von Tom Jones eingelullt (oder stimuliert) wurden. »John Oldbury hat ein sehr gutes Psychologie-Examen«, rechtfertigte er seinen Personalchef, »und er kann wunderbar mit Leuten umgehen.«
    »Das glaube ich. Sie waren beide sehr liebenswürdig. Ich muß mich entschuldigen, daß ich Sie so lange in Anspruch genommen habe.«
    Dieses Gespräch hatte Howards Theorie weder bestätigt noch entkräftet. Aber da keine Unterlagen mehr existierten, was konnte er nun noch machen? Wenn er seine Nachforschungen nicht heimlich durchführen müßte, wenn er seine Männer zur Verfügung hätte, ja, dann könnte er sie die örtlichen Sparkassenfilialen überprüfen lassen. Doch die Dinge waren eben nicht so. Dabei sah er jetzt ganz klar, wie die Sache gelaufen sein konnte: Die Idee selbst stammte von Angela, dann wurde eine Komplizin gefunden, um die von Hathall erfundene Frau zu personifizieren und das Geld von dem Konto abzuheben. Und dann – ja, dann hatte Hathall seine ›Strohfrau‹ allmählich allzu liebgewonnen, und Angela war eifersüchtig geworden. Wenn er recht hatte, dann ließe sich damit alles erklären – die freiwillig gewählte Einsamkeit der Hathalls, ihr klösterliches Leben, das Geld, das es ihnen gestattete, teuer essen zu gehen und Geschenke für Hathalls Tochter zu kaufen. Sie steckten so lange alle drei unter einer Decke, bis Angela merkte, daß die andere Frau für ihren Mann mehr war als eine Komplizin, mehr als eine nützliche Kassiererin heimlicher Einkünfte … Was hatte sie getan? Die Affäre auffliegen lassen und damit gedroht, die beiden zu verpfeifen, wenn sie nicht aufhörte? Das wäre der Ruin von Hathalls Karriere gewesen. Er wäre bei Marcus Flower gefeuert worden und hätte nie wieder eine Stelle als Buchhalter bekommen. Da hatten sie sie umgebracht. Sie hatten Angela ermordet, um Zusammensein zu können und – da sie ja wußten, daß bei Kidds die Unterlagen nur für ein Jahr aufgehoben wurden – um für alle Zeit das Risiko des Entdecktwerdens los zu sein …
    Wexford fuhr langsam den Zufahrtweg zwischen den flachen grünen Wiesen hinunter, und an der Einmündung in die Hauptverkehrsstraße des Industriegebietes begegnete er einem anderen Wagen. Dessen Fahrer war ein uniformierter Polizeibeamter, und neben ihm saß Chief Inspector Jack ›Dachs‹ Lovat, ein kleiner, stupsnäsiger Mann, der eine kleine, goldgerahmte Brille trug. Der Wagen verlangsamte das Tempo, und Lovat kurbelte das Fenster herunter.
    »Was tun Sie denn hier?« fragte Wexford.
    »Meine Arbeit«, sagte Lovat schlicht.
    Sein Spitzname leitete sich von der Tatsache her, daß er in seinem Garten drei Dachse hielt, die er vor den Fallenstellern gerettet hatte, als das Dachsfallenstellen noch erlaubt war. Und Wexford wußte seit langem, daß es sinnlos war, den Chef der Kriminalpolizei von Myringham über irgend etwas anderes auszufragen als über dieses Hobby. Über dieses Thema verbreitete er sich ausgiebig und begeistert, bei allen anderen jedoch – obgleich er seine Arbeit mustergültig erledigte – war er nahezu stumm. Man kriegte lediglich ein ›Ja‹ oder ›Nein‹ aus ihm heraus, wenn man nicht bereit war, sich über potentielle Fallenstandorte und vierfüßige Sohlengänger zu unterhalten.
    »Da es hier keine Dachse gibt«, meinte Wexford ironisch, »außer vielleicht welche zum Aufziehen, würde ich nur eins gerne wissen: Hat Ihr Besuch hier irgendwas mit einem Mann namens Robert Hathall zu tun?«
    »Nein«, sagte Lovat. Verkniffen lächelnd hob er die Hand und bedeutete seinem Fahrer, weiterzufahren.
    Ohne seine neuen Gewerbebetriebe wäre Toxborough mittlerweile zu einem halbverlassenen Dorf mit überalterter Bevölkerung zusammengeschmolzen. Die Industrie hatte neues Leben, Handel, Straßen, Häßlichkeit, ein Veranstaltungszentrum, einen Sportplatz und eine Gemeindesiedlung mit sich gebracht. Durch letztere führte eine breite Straße, die Maynnot Way hieß, in welcher die Betonpfeiler der Straßenlampen die Bäume ersetzten und die nach dem einzigen alten Haus benannt war, das noch stand, nämlich Maynnot Hall. Wexford, der zuletzt vor zehn Jahren in dieser Gegend gewesen war, als sich Beton und Backstein eben erst über die grünen Felder von Toxborough auszubreiten begannen, wußte noch, daß irgendwo hier, nicht weit entfernt, eine Bankfiliale war. Bei der zweiten Kreuzung bog er links in die Queen Elizabeth Avenue ein und da war sie schon, eingeklemmt zwischen einem Wettbüro und einem

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