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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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staubbedeckten Kugellampe, die von der pockennarbigen Decke hing.
    Ein Wandschirm aus Zeltleinwand, erdfarben und häßlich, teilte eine Ecke des Raumes ab. Dahinter befand sich höchstwahrscheinlich ein Ausguß, denn als Hathall bedeutsam hüstelte, schob sie ihn beiseite und trocknete sich, während sie zum Vorschein kam, die Hände an einem Geschirrhandtuch ab. Es war kein hübsches Gesicht, bloß ein sehr junges, mit schweren Zügen, robust und unerschütterlich. Dickes, schwarzes Haar fiel ihr bis auf die Schultern, und ihre Augenbrauen waren breit und schwarz wie die eines Mannes. Sie trug ein T-Shirt und eine Strickjacke darüber. Wexford hatte dieses Gesicht irgendwo schon einmal gesehen, er überlegte fieberhaft, wo, da sagte Hathall:
    »Dies ist die ›Dame‹, die Sie kennenlernen wollten.« Seine Siegessicherheit war in hämische Ironie umgeschlagen, er lachte beinahe. »Darf ich Ihnen meine Tochter Rosemary vorstellen?«

15
    Es war lange her, seit Wexford einen solchen Tiefschlag erlebt hatte. Mit unangenehmen Situationen fertig zu werden war eigentlich nie ein Problem für ihn gewesen, aber der Schock, den Hathall ihm mit diesen letzten Worten versetzt hatte, zusammen mit der blitzhaften Erkenntnis, daß sein Verstoß gegen einen dienstlichen Befehl jetzt offen zutage lag, verschlug ihm so die Sprache, daß er kein Wort herausbrachte. Auch das Mädchen sagte nach einem ersten, gelangweilten »Hallo« nichts mehr, sondern zog sich wieder hinter den Wandschirm zurück, und man konnte hören, wie sie Wasser in einen Kessel laufen ließ.
    Hathall, der anfangs so zugeknöpft und abweisend gewesen war, als Wexford auftauchte, schien sich jetzt gar nicht genug an der peinlichen Verlegenheit seines Feindes weiden zu können. »Was war denn der Anlaß Ihres Besuches?« fragte er. »Wollten Sie mal wieder alte Bekannte sehen?«
    Wennschon – dennschon, zitierte Wexford im Geist Miss Marcovitch: »Wie ich höre, gehen Sie nach Brasilien?« fragte er. »Allein?«
    »Allein? Es sitzen doch sicher noch ungefähr dreihundert andere Leute mit im Flugzeug.« Wexford zuckte unter dem Seitenhieb zusammen, und Hathall merkte es. »Ich hatte gehofft, Rosemary würde mitfliegen, aber sie muß ja noch hier in die Schule. Vielleicht kommt sie in ein paar Jahren nach.«
    Das brachte das Mädchen auf den Plan. Sie griff nach ihrem Regenmantel, hängte ihn auf einen Bügel und sagte: »Pah, ich kenne noch nicht mal Europa, da vergrab ich mich doch nicht in Brasilien!«
    Hathall zuckte nur die Schultern bei diesem Beispiel krasser Unfreundlichkeit, die für seine Familie so typisch war, und ebenso barsch fragte er: »Zufrieden?«
    »Muß ich ja wohl, Mr. Hathall, oder?«
    Hielt er wegen der Gegenwart seiner Tochter seine Wut im Zaum? Seine Stimme klang beinahe milde, nur eine Spur seiner üblichen, nörgelnden Gekränktheit lag in ihr, als er sagte: »Also, wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen wollen, Rosemary und ich müssen uns ein bißchen was zu essen machen – was ja in diesem kleinen Loch nicht gerade einfach ist. Ich begleite Sie hinunter.«
    Er schloß die Zimmertür, statt sie angelehnt zu lassen. Auf dem Treppenflur war es still und dunkel. Wexford wartete auf einen Wutausbruch, aber es kam keiner, nur Hathalls Augen fielen ihm auf. Beide Männer waren gleich groß, ihre Blicke trafen sich auf einer Ebene. Und eine flüchtige Sekunde lang leuchtete in Hathalls Augen das Weiße auf um eine harte, schwarzstarrende Iris, in der jener seltsame rote Funke glomm. Sie waren am Treppenabsatz angekommen, und als Wexford sich anschickte, die steilen Stufen hinunterzusteigen, spürte er hinter sich eine Bewegung – Hathalls Hand, die sich gespreizt erhob. Er packte das Geländer und nahm gleich zwei Stufen auf einmal. Dann zwang er sich, langsam und gemessen weiterzugehen. Hathall rührte sich nicht, aber als Wexford unten angekommen war und zurückblickte, sah er, wie die ausgestreckte Hand sich noch ein wenig höher erhob und wie sich die Finger zu einer ernsten und irgendwie pathetischen Abschiedsgeste schlossen.
    »Der wollte mich doch glatt die Treppe runterstoßen«, sagte Wexford zu Howard. »Und ich hätte kaum eine Handhabe gegen ihn. Er könnte behaupten, ich hätte mir mit Gewalt Zugang zu seinem Zimmer verschafft. Mensch, habe ich da einen Schlamassel angerichtet! Der beschwert sich doch wieder, und ich verliere womöglich meinen Job.«
    »Nicht ohne eine eingehende Untersuchung der Sache, Reg, und ich glaube

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