Der Kuß der Schlange
und zu mal nach West Hampstead rüberflitze.«
Also verließ am folgenden Abend Chief Superintendent Howard Fortune sein Büro um Viertel vor sechs und war Punkt sechs am West End Green. Er wartete bis halb acht. Nachdem sein Mann nicht erschienen war, ging er die Dartmeet Avenue hinunter und stellte fest, daß in dem Fenster, das sein Onkel ihm als Hathalls beschrieben hatte, kein Licht brannte.
»Ich frage mich, ob er vielleicht gleich von der Arbeit aus zu ihr geht«, sagte Wexford.
»Hoffentlich wird das bei ihm nicht zur Gewohnheit. In der Rush-hour ist es fast unmöglich, ihm auf den Fersen zu bleiben. Wann gibt er denn seine Stellung auf?«
»Weiß der Himmel«, erwiderte Wexford, »aber nach Brasilien geht er in genau drei Wochen.«
Eine der Krisen, von denen Howard gesprochen hatte, hinderte ihn am nächsten Abend, Hathall zu beobachten, aber am Mittwoch war er frei, und in Abänderung seiner Taktik begab er sich gegen fünf zur Half Moon Street. Eine Stunde später erzählte er seinem Onkel in der Teresa Street, was sich ereignet hatte.
»Der erste, der aus dem Marcus-Flower-Haus herauskam, war ein salopp aussehender Kerl mit einem Oberlippenbärtchen. Er hatte ein Mädchen bei sich, und sie fuhren mit einem Jaguar weg.«
»Jason Marcus mit seiner Anverlobten«, meinte Wexford.
»Dann kamen zwei weitere Mädchen, und dann – Hathall. Ich hatte recht, Reg, es war derselbe Mann.«
»Meine Zweifel waren unberechtigt, entschuldige.«
Howard zuckte die Schultern. »Er ging in die U-Bahn, und ich hab ihn aus den Augen verloren. Aber nach Hause gefahren ist er nicht, das weiß ich.«
»Wieso?«
»Wenn er nach Hause gefahren wäre, dann hätte er zur Station Green Park gehen und die Piccadilly Line nehmen müssen, eine Haltestelle weit bis Piccadilly Circus, oder mit der Victoria Line bis Oxford Circus, um dann in die Bakerloo umzusteigen. Er hätte sich also nach Süden wenden müssen. Aber er lief nach Norden, und zuerst dachte ich, er wolle einen Bus nach Hause nehmen. Aber er ist zur Station Bond Street gegangen. Und man geht nicht zur Bond Street, wenn man in den Nordwesten von London will. Bond Street liegt nämlich auf der Central Line.«
»Und die Central Line verläuft wohin?«
»In östliche und westliche Richtung. Ich konnte ihm bis in die Station folgen, aber – na ja, du kennst ja das Gedränge um diese Zeit, Reg. Ich war um gut zwölf Personen hinter ihm in der Fahrkartenschlange. Ich mußte verdammt vorsichtig sein, nicht in sein Blickfeld zu geraten. Er fuhr mit der Rolltreppe runter zum Bahnsteig in westlicher Richtung, und da verlor ich ihn aus den Augen.« Entschuldigend fügte Howard hinzu: »Auf dem Bahnsteig standen nämlich ungefähr fünfhundert Menschen. Ich steckte fest und konnte mich nicht rühren. Aber eins beweist es. Weißt du, was ich meine?«
»Ich glaube schon. Wir müssen herausfinden, wo die Central Line in westlicher Richtung die Route der Buslinie 28 kreuzt, und irgendwo in dem Umkreis wohnt unsere große Unbekannte.«
»Ich kann dir gleich sagen, wo das ist. Die Central Line verläuft in westlicher Richtung über Bond Street, Marble Arch, Lancaster Gate, Queensway, Notting Hill Gate, Holland Park, Shepherd’s Bush und so weiter. Die Route des Achtundzwanziger in südlicher Richtung geht über Golders Green, West Hampstead, Kilburn, Kilburn Park, Great Western Road, Pembridge Road, Nottinghill Gate, Church Street und weiter durch Kensington und Fulham nach hier und schließlich nach Wandsworth. Es muß demnach Notting Hill sein. Sie wohnt also wie die Hälfte der umherziehenden Londoner Bevölkerung irgendwo in Notting Hill. Kein großer Fortschritt, aber besser als gar nichts. Gibt’s bei dir was Neues?«
Wexford, der seit zwei Tagen wie auf glühenden Kohlen saß, hatte Burden angerufen und zu hören erwartet, daß Griswold ihm an den Kragen wollte. Aber weit gefehlt. Der Chief Constable sei in Kingsmarkham ›herumgewirbelt‹, wie Burden es ausdrückte, hin- und hergerissen zwischen dort und Myringham, wo es einige Aufregung wegen einer vermißten Frau gebe. Aber er sei bester Laune, habe sich erkundigt, wohin Wexford in Urlaub gefahren sei, und als er hörte, nach London (»wegen der Theater und Museen, wissen Sie, Sir«, hatte Burden gesagt), da habe er scherzend gefragt, warum der Chief Inspector ihm denn nicht eine Ansichtspostkarte von New Scotland Yard geschickt hätte.
»Dann hat sich Hathall also nicht beschwert«, meinte Howard
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