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Der Kuss der Sirene

Der Kuss der Sirene

Titel: Der Kuss der Sirene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Hubbard
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dann wenigstens für Lexi.
    Doch er kann meinen Anblick nicht mehr ertragen, seitdem er weiß, was ich bin. Innerhalb weniger Stunden ist er gegangen, während sie noch schlief. Er hat ihr nicht einmal Lebewohl gesagt.
    Ich blinzele. Sie schreibt über meinen Vater. Die Aufzeichnung stammt aus dem Jahr, als er uns verlassen hat. Sie ist also mehr als sechzehn Jahre alt. Ich war nicht einmal zwei, als Mum das geschrieben hat.
    Ich werde nie wieder jemandem meine wahre Natur zeigen. Ich habe noch nie einen so tiefen Schmerz empfunden.
    Ablehnung.
    Ich beiße die Zähne zusammen und bemühe mich verzweifelt, die Tränen zurückzuhalten. Drei Ecken der Seite sind abgerissen, es scheint Text zu fehlen. Mehr wollte sie jenen Mädchen nicht mitteilen, die irgendwann nacheinander das Buch lesen würden.
    Ich blättere die Seite um.
    Ich habe es getan, obwohl ich dachte, dass ich niemals dazu fähig wäre.
    Ich habe getötet. Ich wusste nicht, dass Greg mir gefolgt war. Ich wusste nicht, dass er dort im Schatten stand, als ich ins Meer ging.
    Es spielt keine Rolle, wie es passiert ist, sondern nur, dass er fort ist. Und ich bin diejenige, die ihn getötet hat. Ich konnte seine Hand nicht loslassen, selbst als sie erkaltete. Dann überließ ich ihn doch den Fluten, damit ihn jemand anderes finden würde.
    Dieser Schmerz ist tiefer, als ich ihn mir je hätte vorstellen können. Damit kann ich nicht leben.
    Ich will für Lexi da sein, aber ich kann so nicht weitermachen. Ich bin auch nicht stärker als die anderen vor mir. Ich werde nie glücklich sein, denn ich bleibe immer eine Sirene.
    Lexi, wenn du das liest, dann sollst du wissen: Es bricht mir das Herz, dich verlassen zu müssen.
    Ich schluchze hemmungslos, sacke wie ein Häufchen Elend zusammen und stoße das Buch von mir. Es fällt mit einem lauten Knall zu Boden.
    In meinem Innersten wusste ich zwar, dass meine Mutter sich umgebracht hat, aber ich wollte es nie wahrhaben. Es ist ein niederschmetterndes Gefühl, die Wahrheit schwarz auf weiß vor Augen zu haben. Sie hat sich den Betonblock an die Füße gebunden und ist dann von der Mole gesprungen. Und sie verspürte denselben Schmerz, mit dem ich jeden Tag lebe.
    Was wäre passiert, wenn ich dieses Buch schon vor zwei Jahren bekommen hätte? Wäre ich dann mit Steven schwimmen gegangen? Ich möchte diese Frage gern verneinen. Aber ich bin nicht sicher, ob das stimmt.
    Seit zweihundertfünfzig Jahren wird in jeder Generation ein Mädchen wie ich geboren. Und alle Mädchen sind dazu verdammt, Männer in den Tod zu locken. Stevens Tod war unausweichlich.
    Jetzt weiß ich, was ich bin, was ich immer sein werde – eine Sirene.
    Ich ziehe die Knie an die Brust und weine aus tiefster Verzweiflung. Ich hoffe nur, dass meine Großmutter mich nicht hören kann.

Kapitel 6
    Ich betrete die Schule durch die Doppeltüren und umklammere die Gurte an meinem schlichten schwarzen Rucksack. Doch schon nach wenigen Schritten geht alles schief. Mein Fuß stößt irgendwo an und ich fliege darüber. Ich versuche zwar noch mich abzufangen, wedele jedoch nur wild mit den Armen in der Luft herum und mache mich auf den Aufprall gefasst. Die Haut an meinen Ellbogen brennt, als ich auf dem hässlichen braunen Teppich lande.
    Jetzt erst merke ich: Jemand hat mir ein Bein gestellt. Das war volle Absicht.
    Ich liege mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden und hebe langsam den Kopf. Mein Rucksack wurde zur Seite geschleudert und alle starren mich an.
    Rein körperlich bin ich okay, meine Heftmappe ist jedoch nicht so glimpflich davongekommen. Arbeitsblätter und Aufzeichnungen liegen überall auf dem Boden verstreut. Alle meine früheren Freunde stehen um mich herum. Sienna, Nicki, Kristi, sogar die Hälfte der Footballspieler aus Stevens altem Team. Vor zwei Jahren hätten sie mir beigestanden, wenn jemand so etwas mit mir gemacht hätte. Sie hätten mir aufgeholfen und meine Sachen mit eingesammelt. Doch jetzt stehen sie einfach nur da und grinsen. Einige lachen sogar und flüstern miteinander.
    Aber ich will nicht, dass sie sehen, wie sehr sie mich verletzen. Ich wende meinen Blick ab und atme ein paarmal tief durch. Ich konzentriere mich auf den Idioten, der mir ein Bein gestellt hat. Aber sosehr ich auch dagegen ankämpfe, das Ganze geht mir doch an die Nieren.
    Ich beiße die Zähne zusammen, während die

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